Samuel Herzog

Kumpel im Raum

Donald Judd in Basel (2004)

Es beginnt rot und roh - etwa mit zwei über Eck gestellten Holzplatten, die durch einen zweifach geknickten Metalltubus verbunden sind. Oder mit einem Eisenrohr, das zur Hälfte in einen Holzblock eingebettet ist. Beide Arbeiten stammen aus den frühen sechziger Jahren, bei beiden Werken wurde ein fasriges Holz mit dicker roter Farbe geglättet. Bilder mit räumlicher Tiefe ja, doch ohne räumlichen Illusionismus - so lautete sehr früh schon eine wichtige Maxime des amerikanischen Künstlers Donald Judd. Das zeigt derzeit auch eine chronologisch angelegte Ausstellung, die nach Stationen in London und Düsseldorf nun im Kunstmuseum Basel und im Museum für Gegenwartskunst zu sehen ist.
Judds Wunsch nach Tiefe ohne Illusionismus musste ihn wohl zwingend in einen Bereich zwischen Plastik, Design und Architektur führen. Und also begegnen wir in der Ausstellung bald schon jenen «stacks», mit denen der Künstler weltweit berühmt geworden ist: Boxen, die in einer vertikalen Reihe aus der Wand herausstehen - wobei die Abstände zwischen den einzelnen Elementen der Höhe der Boxen selbst entsprechen. Der früheste «stack» in der Ausstellung stammt von 1968, der letzte von 1990 - die Materialien wechseln von Mal zu Mal. Im Unterschied zu der Regelmässigkeit dieser Wandarbeiten entwickeln sich andere in Progression - so etwa eine horizontale Aluminiumplastik aus dem Jahr 1969. Hier variieren sowohl die Abstände wie auch die Grössen der Elemente, die in Reihen angeordnet sind - natürlich wird aber auch dabei nichts dem Zufall überlassen, sind doch die Grössen der Leerräume und die der Alukörper miteinander verschränkt. In solchen Arbeiten wird denn auch Judds Nähe zu anderen konstruktiven Ansätzen deutlich - namentlich möchte man eine gewisse Verwandtschaft mit den rechenfreudigen Schweizer Konkreten erkennen.
Es passt wohl ganz gut zum Konzept dieses Künstlers, dass man einige seiner Kunstwerke nicht nur als Sehbarrieren oder Katalysatoren für die Wahrnehmung ansehen kann, sondern etwas trivialer auch als Möbel - hat Judd doch viele Jahre lang selbst Möbel entworfen, denen man die Verwandtschaft zu seinen Plastiken deutlich ansah. Ja, bei Arbeiten wie den fünf Holzkisten mit farbigem Grund aus dem Jahr 1993 kann man der Lust kaum widerstehen, die kleinen Räume in Gedanken mit Gegenständen aus dem eigenen Haushalt zu bestücken - oder vielmehr zu bespielen, wie man angesichts der eigentümlichen Theatralik dieser farbig leuchtenden Boxen sagen möchte. - Dass man so verführt ist, die Plastiken Judds gedanklich in Besitz zu nehmen und mit eigenem «Material» zu verändern, hängt allerdings auch mit der Basler Inszenierung zusammen. In den verhältnismässig kleinen Räumen im zweiten Obergeschoss des Kunstmuseums wird eine mögliche auratische Wirkung zurückgedrängt. Die relative Platznot der Objekte reduziert ihr Kunst-Charisma und bringt sie auf eine Ebene mit uns. Es sind Berühr-Objekte, auch wenn wir sie nicht berühren dürfen - kumpelhafte Gegenstände im Raum.
Besser, sprich reibungsloser funktionieren die Plastiken Judds in den grosszügigeren Sälen im Museum für Gegenwartskunst, wo die Ausstellung mit dem Spätwerk des Künstlers ihre Fortsetzung findet. Die grossen Schränke und Folgen von Kisten aus Aluminium, Stahl, Douglastanne oder Eisen, manche roh, manche farbenfroh, wirken hier wie Ohrfeigen im Raum, die sich mit Wucht und Eindeutigkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit schlagen.

erschienen in NZZ, FEUILLETON, 9. Oktober 2004 Nr. 236 69