Samuel Herzog

«Le roi est mort - vive le Kir»

Urs Fischer richtet im Kunsthaus Zürich eine schöne Höhle ein (2004)

Im Bührle-Saal des Zürcher Kunsthauses wurden bisher vor allem thematische Ausstellungen gezeigt oder in grossen Retrospektiven ganze Lebenswerke ausgerollt. Mit Urs Fischer darf nun erstmals ein ganz junger Künstler die ehrwürdigen Hallen bespielen. Den Raum hat der Schweizer souverän im Griff - vor den einzelnen Werken aber macht sich da und dort eine gewisse Ratlosigkeit breit.

Kir royal ist ein Getränk, das den Trinkfreudigen in aller Regel ratlos stimmt. Ist der Champagner gut, dann muss man den Zusatz von Johannisbeerlikör als störend empfinden. Ist der Schaumwein indes miserabel, dann kaschiert das Süsse die unmissverständlichen Vorzeichen der für den nächsten Morgen anstehenden Synapsenrevolte im Kopf. Nur wenn das Perlenwasser mittelmässig ist, mag man die königliche Hochzeit mit dem Sirup für angemessen halten. Wie aber soll man wissen, woran man ist, wenn die Mischung bereits fertig vor einem steht?
«Kir Royal» heisst auch die Schau, die Urs Fischer derzeit im Kunsthaus Zürich präsentiert. Mit seinen 32 Jahren dürfte der Schweizer wohl der Jüngste sein, der je den ehrwürdigen Bührle-Saal im Alleingang hat bespielen können. Angesichts der 1300 Quadratmeter grossen Fläche wäre wohl so manch anderem Künstler dieser Generation ein lähmender Schauer ins kreative Skelett gefahren - nicht so Urs Fischer: Er hat den riesigen Raum mit Bravour gezähmt. Quer zu der Längsachse des Saales hat er drei weisse Doppel-Holzwände einziehen lassen und aus diesen unregelmässige Durchgänge gesägt. So hat er den Raum elegant portioniert und gleichzeitig interessante Blicksituationen geschaffen - je nach Position legen sich diese Durchstiche etwa wie eine Flucht von Höhleneingängen vor dem Auge aus. Fischer hat auch die ausgeschnittenen Wandteile im Raum stehen lassen und also verdeutlicht, dass wir uns hier eigentlich durch eine grosse Skulptur bewegen - oder durch einen Magen, in dem wir zusammen mit den Kunstwerken verdaut werden sollen. Das ist raffiniert.
Trocken im Regen
Eine weitere Belebung erfährt der Raum durch einen Schauer von mehr als tausend faustgrossen Regentropfen aus Gips, die mitten in der Ausstellung von der Decke hängen und so wirken, als würden sie von einer Windböe durch die Luft getrieben. Eine einzigartige Chance, trocken im Regen zu stehen. Auch die gigantische Plastik, die den Schlusspunkt der Ausstellung bildet, ergibt zumindest als inszenatorische Geste Sinn: ein fast bis zur Decke reichender Riesenstuhl, der auf seltsame Weise mit einer ebenso gigantischen Zigarettenpackung verwachsen scheint. Die Regentropfen erinnern ein wenig an das blumige Gehänge, das Lenzlinger & Steiner anlässlich der letzten Biennale von Venedig im Kirchenraum von San Staë inszenierten - und bei der Riesenplastik denkt man unmittelbar an Werke von Claes Oldenburg oder Jeff Koons.
So gut dem Künstler die Gesamtinszenierung auch gelungen ist - lässt man sich auf Einzelwerke ein, so bricht die Sache immer wieder auseinander. Schon im ersten Saal bewegt man sich eher konsterniert durch eine Reihe von blinden Spiegeln, die wie funktionslose Modelle für die Pavillons von Dan Graham wirken. Auch die lebensgrossen Schönheiten aus Kerzenwachs, die man zwischen diesen grauen Wänden immer wieder dekorativ vor sich hin brennen sieht, lassen einen seltsam irritiert: Sie schmelzen dahin, jawohl, Vanitas usw. - aber reicht das denn für mehr als ein kleines Schmunzeln?
Sich am Oberschenkel kratzen
Im zweiten Saal treffen wir auf eine Gruppe von Stühlen, die aus irgendeinem Schaumstoff, wahrscheinlich einem Isolationsmaterial, geschnitten wurden. Sie werfen sozusagen einen Schatten, der, aus Aluminum gefräst, von der Decke hängt. Ein wenig Platon darf in dieser Höhle ja schon sein. Im dritten Saal prallen wir dann auf einen Felsbrocken, in dem bis zum Heft ein grosses Schwert steckt. König wird, wer die Sage errät - le roi est mort, vive le Kir royal. Vielleicht hat sich auch der Mensch, dessen Skelett hinter den Regentropfen auf einer Bank liegt, zu Tode geraten - obwohl seine Haltung eher vermuten lässt, das Leben habe ihn während des Kratzens am unteren Oberschenkel verlassen.
Vieles in dieser Ausstellung tritt mit einem launigen Humor auf, wie wir ihn etwa aus den Filmen von Monty Python kennen. An und für sich wäre das durchaus amüsant - allein das Medium Skulptur ist wohl irgendwie zu korpulent für diese Art von flüchtigem Witz. Und also fühlen wir uns in dieser Schau gelegentlich, wie wenn uns jemand etwas schwerfällig einen Scherz erzählt, dessen Pointe wir längst erraten haben - aus Höflichkeit jedoch hören wir natürlich bis zum Ende zu. Aber vielleicht haben wir auch das eine oder andere nicht ganz richtig verstanden. Vielleicht hat manches, was wir für ein oberflächliches Schmunzeln hielten, in Wirklichkeit Tiefe und Hintersinn. Vielleicht haben wir uns von den offensichtlichen Doppelwänden in dieser Ausstellung darüber hinwegtäuschen lassen, dass wir eigentlich auf einem doppelten Boden gehen. Hoffen wir es.
Es darf jedoch nachdenklich stimmen, dass es in dieser Ausstellung nirgends eine Linie zu erkennen gibt, die erahnen lassen würde, um was es dem Künstler geht. «Meine Werke sollen frisch wirken und damit grundsätzlich etwas Positives ausstrahlen», gibt Fischer bekannt. «Sein Werk widersetzt sich klassischen ästhetischen Konventionen und untergräbt bestehende Hierarchien», schreibt Mirjam Varadinis, die Kuratorin dieser Schau. Das ist so - ganz bestimmt. Der Kir royal ist angerührt.



erschienen in NZZ, FEUILLETON, 10. Juli 2004 Nr. 158 43