Christoph Doswald

DONNERSTAG, FREITAG UND ROBINSON


IRONISCHE DISTINKTIONSMOMENTE DER LIFESTYLE- UND POPKULTUR

Kürzlich, es war in Berlin, wurde ich auf offener Strasse angesprochen. Das alleine geschieht schon im lebensfrohen Süden selten genug und ist in einer derart kühlen Stadt wie Berlin eine exotische Seltenheit. Es waren zwei Twens, die sich mit mir in Verbindung setzten: männlich und modisch gekleidet, mit Caps, Turnschuhen von irgendeinem Kult-Hersteller und Seitentaschenhosen. Ihr Interesse galt allerdings nicht meiner Person, sondern einem schwarzen Accessoire, das an meiner Schulter baumelte – eine Umhängetasche aus Gummi beschichtetem Gewebe. »Wo haste denn das geile Stück her«, wurde ich gefragt, als ob von vorneherein klar wäre, worum es ging. Während ich noch über dem Grund für die überraschende Bekanntschaft nachdachte, streckte einer der beiden jungen Männer bereits seine Hände nach dem Objekt aus, um es einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Der Taktilitätstest fiel positiv aus. »Das Ding ist echt cool«, raunten sich die beiden zu. Und sie wollten sogleich wissen: »Was haste denn dafür bezahlt?«

Das traute ich mir, ob der unverhohlenen Aufmerksamkeit, kaum zu sagen. Denn meine schwarze Tasche stammte aus keiner einschlägigen Boutique, sondern aus dem Gestell eines Schweizer Grossverteilers. Kostenpunkt: 29 Franken. So kamen wir also am Prenzlauer Berg ins Gespräch, unterhielten uns über Umhängetaschen und ihren Kultfaktor. Wie sich bald herausstellte, ging es dabei weder um Form noch um Machart des von mir als Aktenbehältnis benutzten Objektes. Nein, der Grund des Interesses bestand in der weissen Aufschrift, die auf schwarzem Grund prangte. »Donnerstag« steht dort aufgedruckt. Diese Bezeichnung ist für den Laien unverfänglich, ja unverständlich. Sie bezeichnet einen komunen Wochentag. Für Kenner, und das waren die beiden Jungs offensichtlich, enthielt diese Bezeichnung jedoch einen besonderen Code, der sie erheiterte. Und der geht, wie man mir, dem Ignoraten in Kürze erklärte, folgendermassen: In Zürich leben zwei Brüder, Markus und Dani Freitag. Die hatten vor drei Jahren eine simple, aber erfolgreiche Idee. Sie liessen ausgemusterte Lastwagenplanen von Behindertenwerkstätten in simple, rechteckige Umhängetaschen umarbeiten, versahen sie mit einem Label und verkauften die seriellen Einzelanfertigungen für gutes Geld an die Kultur-Schickeria. Zuerst trug tout Zürich die modischen Accesoires zu den Vernissagen spazieren. Heute findet man Freitag-Taschen in trendigen New Yorker Boutiquen oder eben auch am Prenzlauer Berg, dem Berliner In-Bezirk.

Soweit, sogut mit der Geschichte um ein Exempel aktuellen Kult-Marketings. Nun kam jemand beim Schweizer Grossverteiler Migros auf die klassische Migros-Idee, ein gutes, aber teures Produkt, auch für die weniger kaufkräftigen Migros-Kunden zugänglich zu machen – so wie das schon beim Instant-Café oder bei den Büchsen-Ravioli geschehen ist. Und so entstanden ähnliche Taschen, aus ähnlichem Material. Mit einem Unterschied: die »Kopien« hiessen beim Grossverteiler nicht Freitag, sondern Donnerstag.

Diese strategische Marketing-Ironie ist simpel – phantasievoller wäre wohl die Bezeichnung »Robinson« gewesen. Doch sie war während Generationen erprobt und wurde von der Migros schon beim Nescafé oder bei ähnlichen bahnbrechenden Produkten erfolgreich angewandt, die der Grossverteiler imitierte. Weil jedoch die Freitag-Brüder, als sie das Plagiat entdeckten, sofort mit Anwälten drohten, nahmen die Migros-Verantwortlichen ihre Taschen aus dem Verkauf. Und schufen damit, ohne es zu wollen, ein noch exklusiveres Kultobjekt. Während die Gebrüder Freitag nämlich nach eigenen Angaben bis heute etwas mehr als 6'000 Taschen unter die Leute brachten, wurden von den Donnerstag-Umhängern lediglich 700 abgesetzt.

Wie dieses Beispiel zeigt, sind die Grenzen zwischen subtiler Ironie und Stammtisch-Humor heute, am Ende des 20. Jahrhunderts fliessend. Vor allem aber, und dies hat bereits der amerikanische Philosoph Richard Roarty hinsichtlich Derridas Schriften gezeigt, entwickelte sich der Begriff der Ironie von einer mehrheitlichen Allgemeingültigkeit hin zu einer privateren Lesart, mit dem Ziel, «Anregungen für Dinge ganz neuer Art» zu finden, «die man tun könnte, die bisher kaum jemand getan hat.» Tatsächlich lässt sich ein derartiger Gebrauch von Ironie, die prinzipielle Abkehr vom Metaphysischen und die Hinwendung zum Individuellen, in vielen Bereichen des heutigen kreativen Handelns beobachten. Ob Kunst, Mode, Werbung oder Popmusik ist einerlei: die Intimisierung der vormaligen Avantgarde ist evident und kultiviert die Hervorbringung einer subkulturellen Syntax, einer eigentlichen Geheimsprache aus subtilen Codes und Zeichen, die nurmehr von Eingeweihten «richtig» gelesen werden kann. Nehmen wir etwa die Geschichte des profanen Turnschuhs. Im 19. Jahrhundert erfunden, diente der Spezialschuh zuerst einmal der aufkommenden Turnbewegung als funktionelles Instrumentarium und stellte sich in den Dienst der Höher-weiter-schneller-Bewegung. Das blieb bis 1968 so, als der Fitnessschuh zum Symbol des Nonkonformismus avancierte, eine gesellschaftskritische Rekontextualisierung erfuhr. Ab da war die subkulturelle Vereinnahmung des Trainers, wie der multifunktionelle Schuh heute neudeutsch genannt wird, nicht mehr aufzuhalten. Er findet sich nicht mehr nur in den Sportstadien dieser Welt, sondern an den Füssen von Vernissagebesuchern, bei Hip-Hop-Parties, auf dem Laufsteg oder, kominiert mit einem schicken Anzug, in Werbeagenturen. Die Popularisierung erfährt allerdings eine entscheidende Einschränkung: jede dieser genannten Subkulturen hat eigenständige Turnschuh-Distinktionskriterien entwickelt, die ständig wechseln, oftmals ironischer Natur sind und über die Gruppenzugehörigkeit entscheiden. Lagerfeld-Treter, Jil-Sander-Pumas, Old School, Nike und wie sie alle heissen gehören zwar alle zu ein und derselben Familie der Popkultur – doch diese familiären Beziehungen sind einem permanenten Wandel unterworfen, einem ironisierenden Transfer, der seine Triebkraft letztlich aus dem Bedürfnis eines übersteuerten Individualismus innerhalb der massenkuturellen Grossfamilie bezieht. Donnerstag, Freitag, Robinson – die Gleichung der subkulturellen Ironisierungsprozesses schreitet stetig voran, kreiert im Rahmen systemimmanenter Radikalisierungsprozesse immer neue Hybriden und Interpretationsformen von gerade erst definierten Standards.

In diesem Zusammenhang ist die Arbeit der englischen Modemacherin Vivienne Westwood von Bedeutung. In den achtziger Jahren als wegweisende Designerin gefeiert, brachte sie den Retro-Chic ins Museum: Ihre Piraten-Kollektion ist seit einigen Jahren im Londoner Victoria-and-Albert-Museum zu bestaunen. Nun, mehr als zehn Jahre nach diesem modemässigen Remix der cinemaskopischen Romantik – der nur für Kenner der Filmgeschichte als Ironisierungsmoment lesbar war – rezykliert die Modemacherin ihr eigenes Werk und bringt das Freibeuter-Thema nochmals zur Aufführung. Man merke: der Schritt von der Ironisierung der filmischen Fiktion zur selbstironischen Neu-Interpreation der Haute-Couture vollzieht sich über das Museum. Anders gesagt können nur Themen ironisiert werden, die, auch innerhalb von Subkulturen, eine sanktionierte Mehrheitsfähigkeit aufweisen.

Allerdings hat sich im Rahmen der Etablierung von Pop und der Ausbildung miniaturhafter Subkulturen auch die Handhabung des Ironie-Begriffs verändert. Innerhalb des Kunstsystems beispielsweise, das bis zur Postmoderne einem steten, linear verlaufenden antithetischen Ironiebegriff huldigte, finden sich heute unendlich viele Ironie-Varianten – ein Phänomen, das auf den zunehmenden Einfluss peripherer Themen in der Kunst zurückgeführt werden kann. Besonders prägnant kommt dies in einer Arbeit des Schweizer Künstler-Duos Biefer/Zgraggen zum Ausdruck. «Telekolleg Kunst», so der Titel des mehrteiligen Videos, widmet sich den Kernthemen des aktuellen Kunstbetriebs: «Vernissage», «Galerienrundgang», «Installation», «Kunsttransport», «Expertise», «Künstlerische Früherziehung» und «Kunstgeschichte», um hier nur einige Beispiele zu nennen. Der Titel der Sendungen spiegelt ein seriöses Ausbildungsprogramm vor, und die Videos thematisieren alles, was der interessierte Laie über die zeitgenössische Kunst wissen muss. Doch der Ton der von den Künstlern verfassten und gesprochenen Dialogen ist Ironie vom Besten.

Text erschienen in:
ironic/ironisch, Katalog migros museum, Zürich 1998