Hans-Christian Dany, 06.02


I´m not a traficando Bekannte
Text für Blue Key / Eran Schaerf


Anfangs waren Fremdwörter die schwierigen Worte. Darüber schob sich die Vorstellung es handle sich bei ihnen um aus der Ferne unter die Einheimischen Gekommene. In der Schule brachten sie uns dann bei mit den Fremdwörtern sparsam umzugehen, sie nur zu benutzen wenn es sich wirklich nicht vermeiden ließ und uns ansonsten lieber an die eigenen Wörter zu halten.
Fremdwörter treten in Eran Schaerfs Text Zaun-Town zuerst unter einer Schlafwagenleselampe auf. Ein Begriff für Licht der den in die Sprache Gereisten allein wegen seiner Sperrigkeit beeindrucken muss, teilt er ihn doch in vier Stücke.
Trennung lautet das Zauberwort steht in einer Zeitung unter der Überschrift Zaun ohne Zukunft. Zu dem Text gibt es die Zeichnung einer Stadt am Horizont im Loch eines Zaunes. Der Durchschlupf ist an seinen Rändern zu einer Silhouette geformt, die mit einem aus dem Maschendraht gewobenen Palästinenser-Tuch bekleidet ist.
Die Zeichnung erinnert mich an ein T-Shirt das ich vor kurzem im Fenster einer Boutique sah. Als Bruststück war der Stoff eines Palästinenser-Tuchs eingesetzt worden. Kein hartes Pepita, sondern ein weiches Wellmuster. Zwar transportiert das T-Hemd vertraute Informationen in ein anderes Milieu, aber letztlich war es nicht verdreht genug um den Körper vom Boden in die Rhetorik springen zu lassen und in den doppelten Traum von Identität und Spiel hinüberzugleiten.

Kennst du Mode als vor sich hergetragenes Fragezeichen?
Ja.

Wenn in Zaun-Town geschrieben steht, Fremdwörter verkleiden Gedanken, stelle ich mir vor wie den Gedanken Kostüme übergezogen werden, ihre Form verwischt, ihr Gesicht hinter Begriffsmasken verschwindet. Ein Wunsch wird im Fell eines Bären zu einer runden Kugel. Eine Verwechslung sagt im Gewand einer Moorhexe, einmal im Leben Zunge essen und wenn es die Eigene ist. Worauf der Bär erwidert, das es hier nichts zu besitzen gäbe, sondern jeder an den Worten der anderen weiterkauen sollte.

Wort- und Sprachhandel

Aus der Kulisse tritt ein Spekulant und erzählt von seinem Traum die Rechte an einer Reihe von beliebten Wörtern zu erwerben, um diese anschließend aus der Gesprochenen Wirklichkeit verschwinden zu lassen. Später würde er sie der gesteigerten Nachfrage wieder zu einem wesentlich höheren Preis anbieten.
Der aus Schaerfs Perspektive in Fremdwörtern geschriebene Text Zaun-Town bewegt sich an den Eigentumsverhältnisse der Sprache entlang. Verhältnisse die aus Blutverwandtschaften rühren, die wir Muttersprache nennen.
Wie viel Familienpolitik sich in Sprache versteckt, kann an der Ersatzwortfunktion meiner Textverarbeitung, Thesaurus, ablesen. Nehme ich die Vorschläge für Fremdwörter beim Wort, reiht der nicht-Muttersprachler Sprachwidrigkeiten und Geschmacklosigkeiten aneinander. Damit nicht genug, es kommt zu Sprachmengerei und am Ende wird er einer Sucht (Fremdwörtersucht) verfallen, in deren Taumel er nur noch Unklarheit und Verwechslung von sich gibt.
Vielleicht gibt es im Deutschen so viele Fremd- und so wenige Gastwörter, weil die Fremdenzimmer sich in Deutschland nicht mehr Gastraum nennen konnten, ohne das ein Traum aus Gas lesbar wird.

in fremdem Licht

Fremdwörter lese ich in Zaun-Town als Formulierung für ein Leben das sich in Sprachräumen aufhält in denen nicht die eigene Muttersprache gesprochen wird. Dieser Aufenthalt oder Reise durch ein Terrain außerhalb der Mundart in der man aufgewachsen ist erfordert es ständig zu übersetzen.
Das Leben in der Übersetzungszone bringt aber nicht nur Ersatzworte, sondern auch Zusatzworte. Diese werden zu neuen Elementen in einen Sprachbaukasten in dem sie bisher nicht vorkamen, weil sie sich aus den Versatzstücken der bisher vertrauten Sprache nicht konstruieren ließen.
In der Übersetzungszone geht es darum die Möglichkeiten von Verwechslung und Unklarheit zu erkennen, sich zwischen Gastwörtern zuhause zu fühlen und einen blühenden Sprachhandel zu entfalten, auf dessen Markt die Schachernden ihr altes Labelbewusstsein und den subtile Terror der Identitätspolitik an den Nagel hängen.

Keiner sollte beim Sprechen das Bewusstsein verlieren, da gerade ein Film gedreht werden könnte.

Warum bemühst du dich darum ein sauberes, richtiges, unverletztes Deutsch zu schreiben?
Weil ich nicht erkannt werden will und gleichzeitig verstehe ich es nicht als Verschleierungsstrategie.

Findest du das die Kanak Sprak Gefahr läuft eine Erwartung bedienen oder mit ihrer Identität hausieren zu gehen?
Ja, den es geht nicht darum eine bestimmte Sprache besser oder schlechter zu sprechen und dadurch als Ausländer identifizierbar zu werden. Eher geht es darum, ob man in der Sprache als Ausland zuhause sein kann.

Du sagst du versuchst selbstverständlich zu schreiben. Tust du das damit deine Sprachmaske funktioniert?
Ja.

Mutterzunge

Mutter kann eine Maske tragen und die Kinder in Zungen sprechen. Worte und Formulierungen benehmen sich gelegentlich wie Elemente auf einer Bühne. Einige sind Schauspieler, haben richtige Rolle, andere sind Statisten, manche nur Requisiten zwischen wechselnden Kulissen oder einer die Atmosphäre verdrehenden Beleuchtung.

Glaubst Du das es wieder in Mode kommen wird In-Zungen-zu-sprechen?
Wenn in Zungen zu sprechen, in Masken zu sprechen meint, dann wüsste ich nicht, wie es möglich sein sollte, nicht in Zungen zu sprechen. Ich glaube nicht an Identität, halte sie für eine logische Unmöglichkeit. Was es gibt sind Rollenzuschreibungen.

und die Sonne geht unter

Übersetzen bedeutet im Deutschen sich von der einen Seite eines Gewässers zur anderen bewegen. Sprachen wären Inseln oder Ufer, der Transfer der Worte eine Bootsfahrt, manchmal Nussschalen auf bewegter See. Das Meer oder der Fluss ist die Ähnlichkeit, Übereinstimmung oder Annäherung zwischen den Sprachen. Da Bootsfahrt nicht Übersetzung bedeutet und der Übersetzer kein Fährmann ist, scheint das nautische Moment eher flüchtig, verschwindet wenn das Übersetzen zum Substantiv wird.

Begriffe die mehr als eine Geschichte erzählen oder es gibt Fragen, die sich aus der Ungewissheit stellen und sich aus der schönen Stellung der Worte ergeben haben könnten.

It is not translating from one language to another in the sense of finding the equivalent terms; it is a bilingual translation, made of terms that are common in both languages, terms that – whatever place language and dimension they play a role in, always tell more than one story.

Man sollte sich für keinen Begriff entscheiden, weil er die zweite Geschichte aus dem Spiel werfen würde.
War es eine Entscheidung das Du, nach einer Ausbildung zum Architekten keine Häuser, Straßen oder Tunnel gebaut hast?
Es war weniger eine Entscheidung, als das es sich aus den Umständen ergeben hat. Entscheidungen sind nur bedingt mein Metier. Ich sehe mir an wie sich Dinge entwickeln und gleiche das dann mit meinen Vorstellungen ab.
Letztlich ist die Entscheidung nicht als Architekt arbeiten aber auch nur ein Zwischenzustand.


Angenommen Du müsstest zwischen zwei Sprachen wählen. Der einen Sprache läge die Vorstellung von Sprache als Hauses zugrunde, während die andere Sprache sich eher am Modell eines Bazars orientiert?
Natürlich die nach dem Modell des Bazars, ich glaube überhaupt nicht an die Idee in der Sprache zu wohnen.

return of surprise

Während ich diesen Text zu / über / neben / aus der Arbeit von Eran Schaerf schreibe erinnere ich mich immer wieder an meine Kindheit. Ein Grund dafür ist sicher eine wiederkehrende Perspektive, die Schaerf selbst mit der Formulierung fasst, als die Worte neu waren. Für Kinder sind die Worte neu. Auch für den der in eine fremde Sprache geht sind die Worte neu.
In den unvertrauten Klängen mit ihren überraschenden Bedeutungen werden Empfindungen durchwandert, die Erfahrungen aus der Kindheit nicht unähnlich sind.
Der unter die fremden Worte geratene spricht manchmal wie ein Kind, wird auch schon mal wie ein Kind behandelt, durchwandert Empfindungen die denen seiner Kindheit nicht unähnlich sind. Es sind zweite, dritte, vierte Kindheiten, wenn auch nur bestimmte Facetten davon. Ein vermischte Rückkehr.

Bedeutungsklima

Wann leistest Du dir den Luxus Dich nicht für Verständigung zu interessieren?
Immer. Da bin ich recht verschwenderisch, allein schon aus meinem Interesse an Missverständnissen. Aber auch, weil ich die Dualität von Verstehen und
Nichtverstehen für eine fragwürdige Konstruktion halte.


Eine Sprechblase in Falten legen

Den Worten einer neuen Sprache haftet etwas von Hülsen an. Die Sätze sind Transporter über deren Ladung der durch den sie hindurch gesprochen werden nur bedingt etwas sagen kann. Es gibt keine Gewissheiten, sondern halbgare Erfahrungswerte, wie beladen die Worte sind, welche Geschichten sie haben, ob sie alt oder jung sind und was alles in ihnen mitschwingt. Diese Ungewissheit und Geschichtslosigkeit lässt die neuen Worte in Momenten der Erschöpfung so leer klingen, für den der sie spricht. Wenn die Worte als Klanggebilde und Ideen von Bedeutung den Mund verlassen kann er ihnen nur hinterher sehen und über ihr gerade entstehendes Eigenleben spekulieren. Es kann erstaunlich sein, was sie auslösen, manchmal zerplatzen sie aber auch einfach wie Seifenblasen im Wind oder fallen an regungslosen Gesichtern herunter eine Pfütze. Dort schlagen sie zu laut auf, obwohl sie doch zu leise gesprochen wurden.

Weltempfänger

Wenn einer versteht heißt es im Deutschen auch, es habe bei ihm gefunkt. Ich weiß nicht ob es daher kommt, dass es einen Funken geschlagen oder ein Funkempfänger die richtige Frequenz gefunden hat. Aber wenn es einen Funken schlagen kann, muss man auch nicht unbedingt reden.
Hört man sich beim Sprechen in fremden Sprache zu, rollen sich manchmal die Worte um den Kopf. Als gerollte Sprechblase kann sogar auf dem Kopf getragen werden.
Bei längeren Bewegungen in dieser halbvertrauten, ständig
überraschenden Sprache, scheint sich zwischen den Körper und die anders gesprochene Wirklichkeit ein Vorhang zu schieben. Fasern rollen sich aus seiner Unterkante die nicht vernäht wurde, verdrehen sich in überraschende Formen.

Sprachbau
Ich mag die Vorstellung von Wörtern ohne grammatikalische Unterstützung.

Würdest Du sagen, dass Du beim Sprechen in einer Fremdsprache eher die Vorstellung hast, Sätze zu bauen, weil es schwerer ist, die Antonyme von bauen – abbrechen, abreißen, abtragen, zerlegen, - bewusst einzusetzen?
Wenn du in einer dir fremden Sprache sprichst gibt es sicher einen andere Aufmerksamkeit beim formulieren der Sätze, du horchst anders in die Sprache hinein.

Fast alle außerhalb ihrer Muttersprache-Lebenden mit denen ich darüber gesprochen habe leiden darunter, wie schwer es ihnen fällt ihren Humor in einer anderen Sprache zum klingen zu bringen.

Was komisch ist, darüber gäbe es Erfahrungswerte und Regeln, sagen die professionellen Humoristen. Es ist also nicht zu technische Antworten, wie die, das Zerstörung, Misslingen oder Destruktion teil fast jeder Komik sind. Aber wenn man ständig über die ungewohnten Worte staunt, versucht einen Zusammenhang herzustellen, ist es schwer über eine Bedeutungslücke hinweg zu springen, was notwendig sein kann, um einen Witz zu verstehen.

Egodiät und Übersprung

Beim Stapfen durch eine Sprache, derer ich nur bedingt mächtig bin, heftet sich meine Aufmerksamkeit an die Bedeutungslinie. Ich höre meine zielgerichteten Schritte knallen als sei ich in einem Zimmer in dem es weder Teppich, Möbel, noch Gegenstände gibt. Es hallt so leer das es mir unangenehm ist, wie abwesend ich bin. Warum wird hier überhaupt mit mir gesprochen, wo ich doch eigentlich gar nicht da bin, nur ein Bruchteil von mir übertragen wird?

Gib mir das Elend des Körpers

Gestern saß ich mit einem zwischen Fremdworten lebenden Bekannten im Lokal, der sagte, das die Leere, die er auch kennen würde. Die Leere sei aber in dem Moment in den Hintergrund getreten sei, als er sich damit abgefunden habe, das diese Behinderung Teil seines Lebens sei.
Auch eine in Fremdsprache lebende Freundin beschreibt die Grenzen des Zugriffs auf die neue Sprache als beschränkten Körper. Sie nennt es Amputation.
Amputation bedeutet, der Körper ist nicht mehr vollständig, kann die Dinge nicht mehr so angehen wie die anderen. Handlungsabläufe müssen unter Berücksichtigung der Umstände neu erfunden oder Prothesen installiert werden.
Schaerf arbeitet immer wieder damit, die Behinderung als Möglichkeit und Potential zu betrachten, ihren scheinbaren Mangel in ein Potential zu verwandeln.
Von einem Blinden mit dem Munde gemalte Geschichten, die von Sprachen erzählen, die ihren Benutzern die Freiheit lassen in mehrere Richtungen les- und schreibbar zu sein, die keine Muttersprachen mehr sind, in denen das Blut die Sätze verbindet. Eine Sprache in der die Worte als Gäste willkommen sind. Zugehörigkeit die sich nicht auf Herkunft gründet.

angeschnittene Mengenlehre

Soll eine zweidimensionale Figur einen Gedanken mitteilen, wird ihr eine Sprechblase gezeichnet. Wird dann aber doch nichts in die Sprechblase hineingeschrieben, könnte die leere oder leergebliebene Sprechblase so lesen werden, das da einer was sagen wollte, aber noch nicht wusste was. Oder das in der Sprechblase etwas gestanden hat, das nicht mehr gefiel oder redundant wurde.
Wenn es Sprechblasen gibt heißt das, es wird miteinander gesprochen. Wenn man den Inhalt der Sprechblasen aber nicht lesen kann, heißt es nicht, dass keine Nachricht transportiert wurde. Jede leere Sprechblase, jedes noch nicht lesbare, noch nicht zu verstehende Sprechen eine Möglichkeit, ein möglicher Raum, ein potentielles Sprachzimmer das bewohnt werden kann. Die Leere ist das Versprechen, dass sich das Gesprochene in der Zukunft überträgt.
Die ungefüllten Blasen halten die Möglichkeit offen, in der Zukunft etwas hineinzuschreiben. Die neuen Sprachen öffnen den Vorhang. Das Ende kommt sobald es soweit ist