Hans-Christian Dany, 2.03


Nie sagen, das kenn ich schon


Der Bandwurmtitel der Ausstellung im Frankfurter Kunstverein sieht so aus als könne man sich an ihm verschlucken. Bevor das geschieht, lasse ich ihn lieber langsam auf der Zunge zergehen. Trotzdem sorge ich mich noch um die Füllung von deutschemalereizweitausenddrei und studiere ich zuerst den Waschzettel. Dort halten die Kuratoren Nicolaus Schafhausen und Rene Zechlin den Ball flach: bei der Klammer der Nation ginge es nur um regionale Eigenheiten der Produktionsbedingungen. Auch die dichte Deckung durch die ähnlich mürbe Klammer Medium sei nur als "Gattungsbestimmung" gemeint. Scheinbar handelt es sich also um die Untersuchung eines spezifischen Gewerbes unter deutschen Standortfaktoren.
Die bodenständige Kombination funktioniert aber auch einfach nach dem bewährten Rezept: Stumpf plus Stumpf ergibt Trumpf. Das Haus war voll und der Feuilleton applaudierte der "Generation Klecks". Sie lag in der Luft oder war einfach da und einer musste es tun. Das ist jetzt geschehen.
Die Teilnehmerliste versammelt rund sechzig, gerade kursierende Namen im engeren Sinne Malender und damit einen repräsentativen Querschnitt durch die Sehnsüchte und Phobien der keilgerahmten Bildpolitik in Deutschland. Es wurde weniger ausgewählt, als ein Phänomen in der Spannbreite dieses Winters präsentiert. Einige etablierte Namen fehlen mit Absicht. Die Mehrheit ist zwischen dreißig und vierzig.
Wie die vielen anderen Besucher komme ich aus dem Bild eines öffentlichen Lebens das von Ausverkauf und Depression bestimmt ist. In solch dunkler Zeit sucht der Mensch nach Orientierung, die ihm ein Licht am ende des Tunnels zeigt. Der Waschzettel formuliert es: Bei der Malerei handle sich um einen allgemeinen Trend. Die Perspektive liegt griffig in der Hand. Er ist sogar nicht nur speziell deutsch, sondern existiert im internationalen Wettbewerb. Eigentlich müsste nicht mehr gesagt werden, aber er stand da wohl zu verloren auf dem Blatt, weshalb die Wirkungsaspekte doch genauer beleuchtet werden: "Das Malerei traditionell eher einen "konservativen" Status besitzt, resultiert vermutlich aus dieser konnotativen Überfrachtung, in der Geste, Genealogie und Bildrhetorik mindestens so wichtig sind wie das, was auf inhaltlicher Ebene zur Sichtbarkeit gelangt". Das klingt gewichtig. Mir bleibt aber unklar über welches Medium sich das nicht sagen ließe. Sind nicht sogar Telefongespräche von "individueller Handschrift"(Stimme), "Ausdruck" (Stimmlage), "Singularität"(ich rufe Dich jetzt an), "Referenzen auf historische Positionen" (letzte Woche hast Du noch gesagt) geprägt? Sicher, nur ist es in Mode gekommen das jetzt neu zu entdecken, dass es genauso wichtig, was man sagt und wie man es sagt, als hätte es dies nicht schon immer gegeben.
Im Kunstbetrieb bildet diese jüngste Erkenntniswelle des Zusammenspiels von Form und Inhalt den Anlass zum Ausspielen alter gegen neuer Medien und einer erstaunlichen Wiederentdeckung des Visuellen. An Ersterem wurde sich zwar gerade im Zusammenhang mit der Kritik an der Konjunktur der "neuen Medien" ausführlich abgearbeitet, aber das ist irgendwie egal. Jetzt noch mal Malerei als neue alte Möglichkeit wiederentdeckter Komplexitäten herauszuholen ist eher eine späte Selbstverständlichkeit und Bilder sollten sich schon an etwas anderem messen.
Man muss es mit den Waschzetteln nicht so eng sehen, andererseits erzählen sie oft viel vom Konstruktionswillen. Also lese ich weiter, zu den Nebenwirkung des Trends gehöre eine "Politisierung, des malerischen Diskurses". Die Wahl der Worte lässt Zweifel aufkommen, ob der Formulierende überhaupt ein Interesse daran hat. Aber sehen möchte man sie schon, und wenn es eine solche ist, kann sie auch für sich selbst sprechen.
Am Ende des Kuratoren-Intros laufen die Dinge auf einen geheimnisvollen Punkt: Die Malenden suchen nach der Möglichkeit einer Behauptung von Subjektivität. Sie werden dadurch sympathisch, weil sie sich angreifbar machen. Warum dieser die restaurativen Tendenzen der Berliner Republik kommentiert, obwohl den Malenden vorgeworfen wird, teil dieser Restauration zu sein, wie der Waschzettel schreibt, verstehe ich leider nicht. Wird die Berliner Republik nicht von Wesen regiert die ständig Ich sagen und ihre Subjektivität einklagen? Ich will keinen Krieg, weil ich eine Erfahrung habe. Das soll sympathisch klingen, ist aber nichts als die monströse Verzerrung von Subjektivität zu reinen Machtgeste.
Überhaupt überrascht es gegen restaurative Tendenzen gerade die Subjektivität als Mittel der Wahl auszurufen, ist sie dafür doch arg in der Idee vom bürgerlichen Individuum verwurzelt ist. Auch kann mit Subjektivität als hervorgehobenem Mittel in der Kunst heute wohl kaum ohne eine Differenzierung zu Subjektivität als Ressource verwerteter Arbeit operiert werden. Diese Verwertung ist weniger restaurativ, als innovativ im Sinne einer postindustriellen Revolution, weshalb der Wunsch nach entfalteter Subjektivität sich dicht am Grad zum neoliberalen Phantasma bewegt. Einen Störung braucht es schon. Naja, wir sind noch im euphorischen Stadium.
Angesichts der Normierungen von Lebensumständen und der Entfremdung durch eine zunehmende Teilung der Arbeit, die mit jeder weiteren Beschleunigung der Innovationsschraube einhergeht ist der "Wunsch" sich als Subjekt in Handschrift zu manifestieren nachvollziehbar. Wer würde abstreiten, dieses und ähnliche Bedürfnisse nicht zu verspüren. Aber handelt es sich bei künstlerischer Produktion um eine Bedürfnisanstalt? Und wäre Abweichung, nicht angebrachter als Subjektivität?
Um ein Außerhalb der "objektiven Maßstäbe", also der Gesetze der Verwertung und im besten Fall eine Unterbrechung konstruieren, reicht der Faktor Subjektivität wohl kaum, bleibt Selbstbefriedigung, Rückzug oder geht nach hinten los. Und warum überhaupt diese Verklammerung von Malerei und der Manifestation von Subjektivität? Gerade Malerei ist zuerst ein technisches Problem und eher selten unmittelbar, bis zu einer subjektiven Behauptung ist der Weg relativ lang.
Neugierig auf dies Malerei die den Spagat hinbekommt, steige ich frohgemut die Treppen hinauf in Erwartung der Bilder von sympathischen Menschen denen man Vorhaltungen macht. Im ersten Stock erwartet mich die riesige Vergrößerung eines mit dem Computer hergestellten Überblendung aus der Aufnahme eines Flughafens und einer Straße. Akkurat gemalt wurde es von Corinne Wasmuht. Der Flughafen ist blau, die Strasse ist bunt, zusammen entwickelt das einen atmosphärischen Sog und flirrt. Dominiert wird es von einer doppelten Übertragung: zweimal imitiert ein Mediums ein anderes. Die überlagernde Austanzung ist eine der Übersetzung der analogen Doppelbelichtung in die digitale Fotografie, die Malerei wiederum adaptiert das digitale Bild in Öl auf Holz. Über die transformierten Wirklichkeit legt sich der dichte Schleier des medialen Effekts. Dabei wirkt es weniger so, als ob Wasmuht nach etwas sucht, als das sie eine Methode durchführt – ein Weg der in der Ausstellung öfter beschritten wird.
Daneben malt Eberhard Havekost ebenfalls nach zweidimensionalen Vorlagen. Der fotografisch festgehaltene Blick, oft auch der eines anderen, wird von Vielen im Moment anscheinend als adäquates Material empfunden, wodurch die reflektierte Welt der Bilder in der Ausstellung oft aus wie aus dritter Hand wirkt.
Im Falle von Havekost setzen die vergrauten Bilder schamlos auf die vertraute Stimmung der Vorlage, es geht rein und wieder raus. Das kenn ich, das tut nicht weh. Leere kann eine der besten Möglichkeiten sein, aber hier wirkt sie vor allem gefällig.
Frank Bauer versucht die Jugendkulturfotografie der neunziger Jahre mit dem Fotorealismus der frühen siebziger Jahre zu fusionieren, scheitert aber am malen von Schweiß. Die technische Schwäche sticht so ins Auge, das ich peinlich berührt bin von meinem Angestochensein über sowas. Was wirklich nervt, ist das es schon vor Jahren absehbar war, dass es diesen Trend geben würde, der jetzt schon wieder durchzuhängen beginnt. Moden sind schön, nur möchte ich von ihnen gelegentlich überrascht werden.
Antje Majewski gelingt es den Fotorealismus in seiner Betulichkeit vorzuführen. Nur lässt die braun gestrichene Kammer, in der ihre Malereien nach Fotografien aus einem Moskauer Gefängnis aufgehängt sind, vermuten, dass sie etwas anderes meint. Majewskis Sujet, dafür können ihre Bildern erst einmal wenig, lässt in mir die Befürchtung aufkommen, der Waschzettel könnte dies mit Politisierung des malerischen Diskurses gemeint haben – die Verwendung von Motiven die wir auch aus politischen Zusammenhängen kennen? Und irgendwas wird sich Hendrik Krawen vermutlich gedacht haben, als er das nach Fotos gemaltes Nebeneinander einer kapitalistischen (Scharp-Logo in grau) und einer kommunistischen Ikone (Ernst Thälmann in grüngelb) aufhängte. Oder Johannes Kahrs bei seinem nach einem bekannten Foto in Kohle auf Papier übertragene Bild von Ulrike Meinhof mit über dem Kopf verschränkten Armen in Gefängniskleidung? Das RAF-Bild das Gerhard Richter nicht malen wollte.
Ich ranze den Pensionisten neben mir an, dass das nicht wahr sein darf. Der arme Mann stammelt, Majewskis Strafegefangene würden ihn den jungen Beckmann erinnern. Ich laufe weg, weil ich nicht wissen will, ob er den Maler oder Deutschlands populärsten Kriegsheimkehrer als Bühnenfigur meint.
Nach einer halben Stunde schleiche ich mich zurück in die Wirklichkeit von Bildern die aus Medien vertraut sind und nochmals medial gefiltert werden. Wo hier Subjektivität behauptet wird, bleibt unklar. Erkennbarer wird der Versuch über die Wiederholung von Methoden aus bekannten Malergenres, wie dem Fotorealismus, an der weiteren Ausdifferenzierung zu arbeiten und die darin oft nur angerissenen Möglichkeiten zu erweitern. Das klingt ziemlich bescheiden, ist aber insofern interessant, als es mit einem modernistischen Besitzanspruch von Subjekten auf visuelle Sprachfelder bricht. Die Bild- oder Technikerfindung wird als Steinbruch verstanden, an der viele weiterarbeiten können. Was unter dem Label Postmoderne vor langem als Geste eingeführt wurde, ist nun zu einer verbreiteten Praxis geworden.
Die dialektische Bewegung weg von einer extremen Öffnungstendenz in der neunziger Jahre, samt ihrer angeblichen Vernachlässigung der formalen Mittel, hin zu einer präziseren Überprüfung der verwendeten Mittel innerhalb der Kunst bewegt sich dabei aber oft an der Grenze zum flachen Gewässer der Verfeinerung. Es gibt vieles was getan werden kann, aber noch mehr sollte man lieber unterlassen.
Nun findet der Aufarbeitungstrend auf einem gut bestellten Acker statt, wer will sich schon zu krumm machen und ist außerdem bestens abgesichert: es gibt den entsprechenden Überbau, der besagt, wir befänden uns in einem weiteren Rekonvaleszenzstadium nach den Schrecken und überhitzten Geschwindigkeitsmetaphern der Moderne. Zwischen den Resten zu schnell verschlungener Mahlzeiten therapieren sich die Enkel der Opfer und Patienten jetzt mit einer Häppchenweisen Aufarbeitung. Diese Form der Zweitverdauung oder Wiederkäuens, wie man es in der Tierwelt nennt, erweist sich fraglos als produktiv im Sinne verkäuflicher Kunst. Und Umsatz ist sicher der gemeinsame Nenner auf den man sich im Moment problemlos einigen kann. Es geht darum in Verhältnissen zu funktionieren.
Das es sich bei dieser Anerkennung der Spielregeln um ein Phänomen der Verengung ökonomischer Spielräume handeln könnte, deutet sich auch in dem in die Mitte des Kataloges zu dm2003 eingehefteten Erzählung von Ingo Niermann an. Der Berliner Schriftsteller, der sich zuletzt intensiv mit insolvent gewordenen Menschen beschäftigte, entwickelt hier ein Szenario der Dienstbarkeit. Der Ich-Erzähler und ein gewisser Dan hegen darin die Hoffnung, "Ein Original sollte stark genug sein, durch sein Plagiat noch zu gewinnen", geraten dann aber in eine Horde Bettler. Wobei die Bettler nur noch bedingt als Bettler zu bezeichnen sind, weil sie sich nur noch gegenseitig anbetteln könnten, so dicht hocken sie beieinander. Auch ist in diesem Spiegelstadium ist keine Bewegung mehr zu erwarten, da jeder um "seine extreme Bedürftigkeit zu zeigen, an seinem Fleck sitzen" bleibt. Trotzdem gelingt es den Beiden den trostlosen Stillstand zu verlassen. Und obwohl der Ich-Erzähler Dan von seiner Dienstbarkeit, für die er nicht einmal bezahlen braucht, nicht wirklich überzeugen kann, erreichen sie irgendwann das Meer.
Auch in den dicht voll gehängten Frankfurter Räumen findet sich noch unter dem Pflaster der Strand: Sei es in Thorsten Slamas Götzenbildnis des Wolfgang `Joy´ Engel, das einen Demiurgen zeigt. Platons Weltbaumeister, der die chaotische Materie nach ewigen Ideen zum geordneten, beseelten und vernunftbegabten Kosmos umzimmert steht auf diesem Bild vor einem Haus, dessen Logik nur noch dem Ornament seiner Oberfläche geschuldet zu sein scheint. Die Flure sind leer und sehen so aus, als zieht es darin wie Hechtsuppe.
Mit der seltsamen Kälte erstarrter Aufregung erfüllt sind auch die Bilder von Kai Althoff. Ihm wieder gelingt, die Umstände und Methoden seiner eigensinnigen Bilderfindungen soweit im Nebel verschwinden zu lassen, bis der Betrachter sie nicht mehr ausmachen kann. Althoff entwirft eine Zwischenwelt, die die Existenz eines gesellschaftlichen Gefüges soweit negiert, dass eine Infragestellung statt findet ohne das dafür einer als fragwürdig erachteten Wirklichkeit die unnötige Ehre erwiesen wird überhaupt in Erscheinung zu treten.
Auf andere Art erzeugt Gunter Reski ein Wechselspiel aus An- und Abwesenheit der Außenwelt. Hier wird das Übersetzen von Fotos in Malerei konterkariert durch die mal brüchig, dann wieder übertrieben zusammen gefügten Nähte der malerischen Elemente. Es entsteht eine zerrissene Bildsprache. Relativ unberechenbar werden die Versatzstücke mal trickreich transformiert und liegen daneben wieder in ihrer ganzen Banalität bloß. Ein instabiles Gleichgewicht droht mal zur einen, dann wieder zur anderen Seite zu kippen: der Suche nach einer sich ständig entziehenden, extrem entfremdeten vielleicht gar nicht greifbaren Wirklichkeit und der Faszination für eine losgelöste Bildsprache, die vor allem auf sich selbst referiert wird als Konflikt ausgetragen. Die Offenhaltung dieser Kluft fehlt vielen anderen Bildern in der Ausstellung, die ihren Frieden auf einer Seite gesucht haben.