Barbara Basting

Ausstellung "Netcondition" am Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe


Seit das Internet für breitere Kreise zugänglich ist, seit gut fünf Jahren also, setzen sich auch Künstler intensiv mit dessen Kommunikations- und Arbeitsstrukturen auseinander. Allmählich beginnen Institutionen die neue Gattung der Netzkunst ernstzunehmen. Einige amerikanische Museen - das Museum of Modern Art in San Francisco oder das New Yorker Guggenheim etwa - sammeln inzwischen systematisch Künstler-Websites und versuchen, hervorragende Beispiele dieses flüchtigen Genres auf ihren Servern zugänglich zu halten. Auch in Europa gibt es einige Häuser, die sich der Webkunst annehmen, darunter das Institute of Contemporary Art (ICA) in London und das Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM in Karlsruhe. Auf der letzten Documenta 1997 wurde der Webart erstmals ein eigenes Laboratorium eingerichtet, das der Genfer Simon LamuniËre betreute. Inzwischen entstehen auch immer mehr webbasierte Installationen, die den engen Rahmen des Computerbildschirms verlassen.
Das ZKM, vor ....Jahren gegründet und 1997 eröffnet, unternimmt nun in einer grossen Ausstellung (im Verbund mit MECAD Barcelona, ICC Tokyo und dem Steirischen Herbst Graz) den angesichts der Flüchtigkeit des Mediums paradoxen Versuch, den "Ist-Zustand der Netzgesellschaft" (ZKM-Leiter Peter Weibel) abzubilden. "netz_bedingung/net_condition" heisst der ehrgeizige Versuch eines Ðberblicks treffend, denn das verbindende Merkmal fast aller Netzkunst ist ihre ironische, kritische, spielerische Experiment mit den ökonomischen und technologischen Bedingungen im Netz.
Deren politische Dimension kann wohl kaum unterschätzt werden. Während zu den grassierenden Webutopien die Vision gehört, dass "die sozialrevolutionären Hoffnungen der historischen Avantgarden nun technologisch eingelöst werden können", wie es im Pressetext heisst, haben kritische Beobachter in dieser Hinsicht längst keine Illusionen mehr. "Die Entwicklung wird alles andere als offen und pluralistisch sein. Das Netz geht haargenau den gleichen Weg wie die Printmedien in den Siebzigern und das Fernsehen in den Achtzigern: Kahlschlag, Fusionen, Werbungsmüll, Trash - also viel Vergnügen! Am Arbeitsplatz passiert die gleiche Geschichte: Mehr Produktivitätsdruck, mehr Kontrolle am Arbeitsplatz. Die e-mails werden gelesen, der Tastaturanschlag, gemessen, Bildschirminhalte kontrolliert...", dieses düstere Szenario zeichnet der profilierte holländische Netzaktivist Geert Lovink jüngst in einem Interview.
Die Faszination durch das neue Medium ist so gross, dass die Frage, was an der Webkunst nun genau Kunst sei und ob sie mit herkömmlichen Kunstbegriffen überhaupt zu fassen sei, noch kaum gestellt wird, auch nicht in Karlsruhe. Hingegen setzt man sich mit möglichen Präsentationsformen auseinander. Denn genuine Webkunst - Werke, die keinen Installationscharakter haben - ist auf dem Computerbildschirm am besten aufgehoben. Die quasi museale Inszenierung und Vereinnahmung ihrer Arbeiten durchs ZKM behagt gerade den radikalen Veteranen wie JODI oder Vuk Cosic überhaupt nicht. Denn schliesslich haben sie Formen der subversiven Kommunikation entwickelt, deren spezifische Wirkung eigentlich auf den Netzkontext angelegt ist.
Stein des Anstosses ist der "net.art Browser" des Software-Kurators Jeffrey Shaw, eine kostspielige High-Tech-Installation, mit der ein von Benjamin Weil zusammengestellter Ðberblick über wichtige Arbeiten in der jungen Geschichte der Webart dem Publikum schmackhaft gemacht wird. Die Aktivisten von "RTMark", einem Webprojekt, das im Netz mit ausgeklügelten Sabotage- und Guerillastrategien operiert, formulieren ihre Einwände im Klartext: "Immer wieder haben Unternehmen Veranstaltungen (Ausstellungen, Filme, Messen, Festivals) dazu benutzt, um neue Technologien zu propagieren." RTMark zeigt zum Vergleich Ausschnitte aus einem Film von General Motors 1939, der "eine rosige Zukunft voller Autos verspricht". Sie läutete die Zerstörung des bis dahin gut funktionierenden öffentlichen Verkehrsnetzes der USA ein.
Auch solch polemische Positionen gehören zu den rund sechzig im ZKM gezeigten Beispielen, die die grosse Bandbreite des Genres zwischen softwareverliebtem Spiel, ökonomisch verwertbaren Visualisierungsmodellen und im klassischen Sinne kritischen Eingriffen - in Form alternativer Suchmaschinen, Archivierungsmodelle, kommunikativer und interaktiver Strukturen - abbilden. Selbst der expandierende Bereich der digitalen Musik ist präsent. Die Fülle ist so spannend wie verwirrend; sie braucht vor allem viel Zeit, was leiderprobte Surfer kaum überraschet. Nur dass man in Karlsruhe die sattsam bekannten technischen Probleme von einem Heer von Technikern abgenommen bekommt. Diese extreme Technologieabhängigkeit, ja -süchtigkeit des Mediums verschleiern die Ausstellungsmacher wohlweislich; dabei ist sie wohl die zentrale Netzbedingung. Die Künstler thematisieren sie zwar, verlassen aber selten den Raum des kritisierten Mediums. Welchen Wirkungsgrad sie damit erreichen, bleibt vorerst offen.

Barbara Basting


Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM Karlsruhe, bis 9. Januar 2000, Katalog erscheint zum Ende der Ausstellung. Sämtliche Informationen sowie Weblinks zu den vertretenen Künstlern: www.zkm.de