Barbara Basting

Ein Atelierbesuch bei Daniela Keiser


Am Basler Fischerweg, gleich gegenüber von Warteckareal und Kaskadenkondensator, einem Epizentrum der jüngeren Basler Kunstszene, teilt sich Daniela Keiser mit anderen Kunstschaffenden eine ehemalige Fabriketage zum Arbeiten. Im Atelier der 1963 in Schaffhausen geborenen Künstlerin ist allerdings weder taufrische Kunst noch ein fotogenes Sammelsurium zu sehen. Nichts verrät, wie und was hier gearbeitet wird. Mehrere Tische verhindern, dass man den Raum direkt durchqueren kann.
Der Blick fällt auf einen grossen, abgeknuddelten Teddybär auf einer Stellage. Daniela Keiser erklärt, das sei Work in progress: 1998 hat sie den Manor Kunstpreis Basel erhalten, jetzt bereitet sie die mit dem Preis verbundene Ausstellung an bester Adresse, im Basler Museum für Gegenwartskunst vor. Vom Ausstellungsraum im Erdgeschoss des Museums steht ein kleines Pappmodell auf einem ihrer Tische. Nervös sei sie wegen der Ausstellung kaum, sondern freue sich, auf einer ungewohnt grossen Fläche mehrere Arbeiten zueinander in Beziehung setzen zu können. "Was ich dort zeige, wird massgeschneidert sein", meint sie. Das klingt bei ihr weder auftrumpfend noch übertrieben selbstsicher, eher nach verhaltenem Stolz.
Der Teddybär aus ihrer Kindheit wird eine prominente Rolle spielen. Ein Motor soll ihn unmerklich bewegen, um den Bär herum werden ebenso unmerklich Spots wandern, ihn manchmal beleuchten und dadurch Schattenwürfe erzeugen. Das Unmerkliche erzeugt paradoxerweise Aufmerksamkeit: "Das Auge will den Lichtpunkt festhalten", bemerkt die Künstlerin. Die wandernden Lichtquellen schreiben dem unruhig umherschweifenden Blick eine Bewegungsrichtung vor, organisieren Umlaufbahnen fürs Auge.
Auch bei der geheimnisvollen Installation "Aus heiterem Himmel" auf der diesjährigen "Art Sculpture" in Basel, arbeitete Daniela Keiser mit einem ausgeklügelten Blick-Leitsystem: Zwei Scheinwerfer, einer auf einem Stativ, einer auf dem Boden daneben, tauchten Bodenzonen in unterschiedlich helles Licht. Unregelmässig um die Lichtquellen herum gruppiert Tablettenröhrchen, Päckchen, Tübchen, die sich als Medikamenten- und Duftproben entpuppten, dazu scheinbar achtlos hingeworfene Dias, unterschiedlich grosse Zuckerstücke, Pillen. Von jedem Zuckerstück aus führten auf den Boden geklebte Scotchstreifen strahlenförmig zu je einem Trinkglas. Die in Gruppen plazierten Gläser, in denen teilweise Geldstücke lagen, bildeten einen fragilen Cordon sanitaire. Der Betrachter kam weder an den Zucker noch an die Döschen und Dias heran, auf die das Licht so penetrant hinwies.
Raum für Mutmassungen: Was hat der Zucker mit den Gläsern zu tun, was mit den Medikamenten, was mit dem Geld? Was die Licht- mit den Scotch-Strahlen? Was das Zentrum mit der Peripherie? Und was wäre wohl auf den Dias zu sehen? Wie schliesslich passt die vage After-hour-Stimmung, das angedeutete Chaos einer Riesenparty mit drugs and drinks, zu der suggestiven, fast esoterischen Ordnung dieses planartigen Gebildes? Daniela Keisers Vorliebe für Pläne lässt sich auch an anderen ihrer Arbeiten ablesen. "An Plänen interessiert mich das Ordentliche und zugleich Emotionale", die scheinbare Objektivität, die von vielen Vorannahmen geprägt ist.
Doch ist diese Vorliebe nur eine Unterabteilung ihrer "Liebe und Zuneigung zu Bildern", von der sie spricht: "Ich bin besonders an den Kommunikationsstrukturen interessiert, die durch Bilder entstehen". Der Bildbegriff, der ihrer konzeptuellen Erforschung von Mechanismen der Wahrnehmung und des Verstehens zugrundeliegt, erweist sich als ausgesprochen breit. Er beschränkt sich nicht auf Abbildungen im engeren Sinne, sondern bezieht musikalische und sprachliche Assoziations- und Ðbersetzungsprozesse ebenso mit ein.
"Am Bild liebe ich die Direktheit, die Sehnsuchtspotentiale, die in ihm stecken" - und damit wohl auch die Macht, die die immer schnelleren und artifizielleren Bilder in unserem Alltag über uns haben. Dieser Macht versucht Daniela Keiser auf die Schliche zu kommen, indem sie vorgefundene Bilder mit oft minimalen, hinterhältigen Eingriffen manipuliert.
Als Ausgangsmaterial dienen ihr dabei anonyme Fotos, die sie in ihrem "Archiv der Wissenschaften" sammelt. Sie bevorzugt Bilder, deren Aufnahmeort und -zeitpunkt sich nur schwer erschliessen lassen. Die Spekulationen des Betrachters werden mit verblüffenden Präsentationsformen noch angeheizt. Bei der Installation "Gute Reise" (Graz 1998) etwa, einer Arbeit, auf die Daniela Keiser während unserer Begegnung häufiger zurückkommt, projizierte sie nachts drei Dias, die eine Berglandschaft, eine besiedelte Küstenlandschaft und einen Indianer auf einem Schiff zeigten, aus zwei geparkten Autos heraus auf die Rolläden eines Marktstandes im Grazer Rotlichtbezirk: kalkulierte Reflexion auf das Verhältnis von realer und imaginärer Mobilität, Verwirrspiel für Passanten, die, wenn sie dem Geheimnis auf die Spur kommen wollten, zwangsläufig ihren eigenen Schatten mit ins Bild brachten.
Die emotionalen Komponenten jeder Kommunikation reizen die Künstlerin besonders. Ihre erste grössere Arbeit, die von 1990 bis 1995 durchgeführte Aktion "Ihr Wickel ist bei Ihnen zu Hause oder im Büro", hat sich mit der Zeit zu einem vielschichtigen Projekt entwickelt. Keiser hatte 1990 damit begonnen, "Wickel" anzufertigen, indem sie Kleider zu kompakten Ballen vernähte. Zunächst verwendete sie diese für farbenprächtige Installationen. Ab 1991 wurden die Wickel persönlich: Die Künstlerin bat Freunde und Bekannte um ausrangierte Kleider. Für eine Kunstauktion zugunsten der Zürcher Shedhalle 1991 ging sie Prominente um Kleiderspenden an. In einer weiteren Phase konnte, wer ihr ein Kleidungsstück gab, gegen Gebühr den entsprechenden Wickel mit nach Hause nehmen
Für eine Folgearbeit, "Nachfrage", besuchte sie 1996 die Wickelbesitzer in ihrem Heim. Die Wickel samt Umgebung wurden fotografiert. Diese "Wickelporträts" machten sichtbar, dass die Wickel auch als "Porträtwickel" taugten. Die abgelegten Hüllen in ihrer komprimierten Form waren Repräsentanten der ehemaligen Kleiderbesitzer, neue Körper aus deren alten Hüllen. Die Entstehung und allmähliche Verdichtung eines Netzes von Beziehungen in diesem nur auf den ersten Blick simplen Reigen interessiert die Künstlerin heute mehr als der Objektcharakter der Wickel. "Die Menschen werden in dieser Sammlung immer wichtiger." Ihre Methode bei dieser Arbeit bestand, das sieht sie erst jetzt so klar, in ihrer intuitiven Bereitschaft, eine Entwicklung mit offenem Resultat zuzulassen.
Jede Arbeit von Daniela Keiser fordert einen völlig neuen Zugang. Auf bestimmte Techniken, Medien oder Materialien lässt sie sich nicht festlegen. Doch immer locken ihre reizvollen Arrangements mit spielerischer List auf unbekanntes Terrain. Dort wird der Motor eingespielter Deutungs- und Wahrnehmungsmuster abrupt zum Stottern gebracht. Auf genau diesen Moment hat die Künstlerin es offenbar abgesehen: es ist der Moment, wo der Dialog beginnen kann. Forscher und Pioniere begeisterten sie, die Geschichte der Nilforscher etwa, sagt sie einmal im Gespräch. Kein Wunder, dass auch die Spuren, die sie selber legt, ins Neuland eines unkonventionellen, auf seine Weise präzisen Forschungsprojektes führen.


Barbara Basting