Barbara Basting

Kritische Anmerkungen zur Professionalisierung

Vortrag, gehalten anlässlich des von der Pro Helvetia organisierten Symposiums "Professionalisierung - Fluch oder Segen" in der Kartause Ittingen/Warth, 26./27. Mai 2005.

Meine Arbeit als Kulturredakteurin einer Tageszeitung, des Zürcher Tages-Anzeigers, mit Spezialgebiet Kunst führt dazu, dass ich die Auswirkungen des professionalisierten Kulturbetriebs, insbesondere des Kunstbetrieb, aus einem bestimmten Blickwinkel wahrnehme. Als "filternde" oder "verarbeitende" Instanz vernachlässige ich naturgemäss die "Macherperspektive" ; ich hoffe, dass die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Institutionen mir dies nachsehen. Meine Bemerkungen sind hauptsächlich aus dem Kunst- und Museumsbetrieb heraus gewonnen. Ich hoffe, dass manches sich auf andere Felder im Kulturbereich übertragen lässt.

Ich will im folgenden versuchen, 13 kritische Thesen und Beobachtungen zur Professionalisierung zu entwickeln.
Zuvor noch eine kleine Geschichte, samt Bildern (CD ROM):

Jüngst war ich in Frankreich in dem kleinen Dorf St. Père unterhalb von Vézélay in Burgund. In St.Père gibt es interessante Ausgrabungen von alten Thermen, die - obwohl es sich um keinen Ort des Massentourismus handelt - mit einem kleinen Parcours geschickt aufbereitet sind. Es gibt auch ein dazugehöriges lokales Archäologiemuseum mit vier kleinen Räumen; Sie sehen im Hintergrund ein paar Bilder. Aus Sicht eines Kulturmanagers sicher ein eher unprofessionneller Betrieb mit einer Gardienne, die an der Kasse einen dicken Roman las, mit altmodischen Vitrinen wie aus einer Installation von Ilya Kabakov, mit handschriftlichen Schildchen. Keine Computerdisplays und interaktiven Gerätschaften, keine Audioguides, alles Low Budget und ein wenig so, als habe eine lokale Interessengruppe, etwa der Dorflehrer zusammen mit dem Pfarrer, hier in ihrer Freizeit aus Begeisterung dieses Haus eingerichtet. Und abgesehen von der Rührung, die einen angesichts solcher Orte befällt, weil sie sofort an Kindheitserlebnisse in Museen vor dreissig Jahren erinnern, waren die Exponate und ihre Präsentation gar nicht uninteressant. Ich will nun dieses kleine Museum als Wunderort nicht überstrapazieren, es ist ja auch klar, dass so etwas seinen Charme nur in der Provinz entfaltet. Aber es war ein Ort, an dem man spürte: Hier hat sich jemand Mühe gegeben, mit wenigen Mitteln etwas zu machen - und so dilettantisch das aus der Warte erfahrener Museumsgänger sein mag, es hat seine Qualität. Eine Qualität, die vielleicht verlorengeht, wenn alles professionell durchorganisiert wird.

Und noch kurz zum Stichwort "dilettantisch": In der Jubiläumsausstellung, die derzeit im Marbacher Literaturarchiv zu Schiller zu sehen ist, fiel mir in einer Vitrine auf, wie Schiller an einen Verleger schreibt und dabei als Gegensatz zu "professionell" das "dilettieren" verwendet. Negativ natürlich. Diese negative Verwendung hat sich bis heute gehalten; den Dilettantismus gilt es auszuschalten zugunsten der Professionalisierung. Die Sprache ist hier wie so oft verräterisch. Das Suffix - ung bedeutet einen Prozess: Verführung, Verbesserung, Verschlimmerung. D.h. im Falle der Professionalisierung: Was vorher nicht professionell war, wird es nun. Meist heisst Professionalisierung: Inhalt raus, Cafeteria und Shop rein. Auch im Fall übrigens dieses erwähnten Schiller-Nationalmuseums, dessen neuer Leiter sehr viele der alten, philologisch sorgfältig gemachten Vitrinen wegräumen liess, um sie durch schicke Couchgruppen zu ersetzen.

Daraus ergibt sich meine erste These:

1. Die Kultur folgt inzwischen fast ausschliesslich den Gesetzen des Marktes.
Wenn man fragt, was im Fall von Kultur "professionell" heisst, stösst man meist auf lauter Kriterien, die im ökonomischen und soziologischen Sinne durch Statistiken messbar sind: "return on investment", Umwegrentabilität, Budgetdisziplin, Standortfaktor, Publikumszahlen/erfolge.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals gehört zu haben, dass "professionell" etwa im Kunstbetrieb bedeutet, jemand könne Bilder gut hängen oder entwickle gesellschaftlich relevante Ausstellungsthemen. Kultur wird demnach offenbar professionell, wenn sie Bedürfnissen entgegenkommt oder diese kreiert, sich also am Markt orientiert. (Es sei hier kurz der frühe Kapitalismuskritiker Hegel zitiert: "Es wird ein Bedürfnis daher nicht sowohl von denen, die es haben, als vielmehr durch solche, welche durch sein Entstehen einen Gewinn suchen, hervorgebracht.")

2. Professionalisierung ist paradoxerweise die letzte Konsequenz der von der Aufklärung geforderten Demokratisierung der Kultur.
Die Unterordnung der Kultur unter Marketingkriterien bedeutet den sukzessiven Abschied von einem Diskurs, der ihr seit 200 Jahren (seit dem Idealismus, dem entstehenden Bürgertum, das sich über die Teilhabe an Kultur definierte) ganz andere Rollen zugewiesen hat (und sie auch finanzierte): Es ging darum, den Menschen zu formen/zu erziehen (humanistisches Ideal), eine Alterität/autonome (kritische) Sphäre gegenüber dem Bestehenden zu bieten, sogar einen Ort der Distanz/Reflexion/Evasion (etwas schnöde "Weltverbesserungskunst" genannt). Diese Ziele von Kunst, die bei nüchterner Betrachtung natürlich auch nicht frei sind von Ideologie, sind obsolet geworden. Das hat viel mit der sogenannten "Krise des Humanismus" in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg zu tun; erst recht aber mit der Auflösung des Blockdenkens seit 1989. Denn der Kapitalismus rechtfertigte seine Überlegenheit gegenüber dem Kommunismus ja unter anderem mit einer freieren Rolle, die er der Kunst zugestand und die er auch finanzierte; Serge Guibaut ("Comment New York a volé l'idée d'art moderne") hat in seiner einschlägigen Studie gezeigt, wie der CIA zur Zeit des Kalten Krieges mit ideologischen Zielen die Rezeption amerikanischer Nachkriegskunst, insbesondere des abstract expressionism, in Europa förderte.
Seither ist der Konsens darüber, welche Rolle Kultur in der Gesellschaft hat, zunehmend brüchig geworden: Hat sie nun kompensatorische oder eher emanzipatorische Funktionen, soll sie zur Gestaltung der Freizeit beitragen oder die letzte Oase der Kreativität sein. In dieser grossen Not hilft das "professionell", sprich statistisch ermittelbare Kriterium der Mehrheitsfähigkeit: Wichtig ist nicht mehr, was eine (meist selbsternannte) Elite für wichtig hält, sondern was möglichst viele interessiert, was populär ist. Das ist im übrigen durchaus demokratisch.

3. Professionalisierung ist ein strategisches Vorgehen, um sich Marktvorteile zu sichern. In der Marktwirtschaft steht die Gewinnung und Sicherung von Marktanteilen im Vordergrund.
Weil der Konsens über andere Kriterien für Kultur fehlt, sind auch die Finanzierungsmodelle, insbesondere die Finanzierung mit öffentlichen Mitteln, in der Diskussion. Warum sollen Mehrheiten via Steuer finanzieren, was oft nur Minderheiten interessiert? Das Firmensponsoring machts vor: Sport ist mehrheitsfähiger - also geht mehr Geld dorthin als in die Kultur.
Das Kriterium, das am wenigstens angreifbar ist (weil es dazu beiträgt, dass die Kultur niemandem am Beutel hängt), ist klar der Markterfolg. Dieser füllt das Vakuum, das der Verlust der Wertorientierung in der Kultur geschaffen hat. (Dies bedeutet nicht, dass es die oben angedeutete Werte einer emanzipatorisch gedachten Kunst und Kultur nicht weiterhin gäbe - nur sind sie in einer multioptionalen Gesellschaft eben nur noch eine von vielen Optionen, nicht mehr die dominierende.)

4. Professionalisierung bedeutet vor allem eine Steigerung der Umsätze, folglich eine Intensivierung des Kampfes um Aufmerksamkeit.
Dabei sei nicht verschwiegen, dass die Professionalisierung ihre Vorteile hat. Viele Einladungen, Unterlagen, Pressedossiers etc. sind heute ansprechend und klar gestaltet, man findet weiterführende Informationen und Bilder auf CD Roms, Homepages, es gibt überall Pressestellen, Ansprechpartner.
Dennoch ist für mich die erste Assoziation, die mir zur Professionalisierung des Kulturbetriebs einfällt, leider negativ: Dauerbeschuss mit „Informationen", An- und Nachfragen und Vorwarnungen und Reminder aller Art und auf allen Kanälen.
Es kommt dabei allmählich zu einer grotesken Überorganisiertheit von Anlässen. So mehren sich die Einladungen zu Pressekonferenzen, an denen schon lange vor einem Ereignis über den Ablauf dieses Ereignis informiert werden soll. Das neue Zentrum Paul Klee in Bern z.B. verschickte neulich eine Einladung einer Pressekonferenz, bei der über die Veranstaltungspalette zur Eröffnung des Zentrums, unter anderem die Eröffnungspressekonferenz, informiert werden sollte.
Die Strategie ist professionell, und es ist klar, wie sie funktioniert: Es geht darum, früh Plätze im Kopf der Redaktoren zu besetzen, in der Hoffnung, dass sich dies dann in redaktionelle Plätze für den jeweiligen Anlass umwandelt. Sie kann aber auch kontraproduktiv sein: Um überhaupt noch vernünftig funktionieren zu können, ignoriert man das meiste grosszügig. Die Informationsflut entwertet sich selber.
(Gleichzeitig führt die Professionalisierung bei Grossanlässen dazu, dass die Akkreditierungsprozeduren im Vorfeld immer komplizierter werden. Kleine Anekdote: Mir hat mal ein altgedienter Kollege berichtet, wie man noch in den 50er Jahren hofiert wurde, wenn man über die Biennale in Venedig berichten wollte: Tagelange Einladung in ein erstklassiges Hotel durch den italienischen Staat usw. Abgesehen davon, dass man das heute vielleicht zwar nicht gerade für Bestechung, aber doch zumindest für eine Form der Manipulation halten würde und das Redaktionsstatut des Tages-Anzeigers die Annahme solcher Vorteile gar nicht erlauben würde, muss man monatelang im Voraus Formulare, Bestätigungen usw. ausfüllen, um zu einer simplen Akkreditierung zu kommen, und das überteuerte Zweisternhotel reserviert man am besten zwei Jahre vorher.)

5. Der Kampf um Aufmerksamkeit verschiebt den Akzent auf die Oberflächenerscheinung, nach dem Prinzip: Tue Gutes und rede davon.
Die Flut an Drucksachen und sonstigen Werbemassnahmen führt dazu, dass die Flyers und Pressemappen oft mehr versprechen, als dann vor Ort geboten wird. Es häufen sich die Veranstaltungen, bei denen der aufsehenerregende oder neugierig machende Titel, die vollmundige Ankündigung vor Ort nicht eingelöst werden.
Zu den „Oberflächenphänomenen“ gehört es m.E. auch, dass es für die Institutionen offenbar immer wichtiger ist, möglichst üppige Kataloge zu produzieren, um sich zu profilieren (eher vor Kollegen oder Sponsoren als vor den Besuchern, würde ich sagen). Gehen Sie mal im SIK die chronologisch sortierten Regale mit den Kunstkatalogen anschauen - noch in den 70er Jahren waren es oft wenig mehr als hektografierte Blätter oder schmale Broschürchen. Heute ist es wichtig, mit grossen Konvoluten, möglichst mehrsprachig, die dann in internationale Kanäle eingespeist werden, Eindruck zu schinden. Die Frage, wer das am Ende alles liest, ob es Doppel- und Mehrspurigkeiten gibt, scheint zweitrangig. Es geht nicht darum, Inhalt zu kommunizieren, sondern zu signalisieren, dass da angeblich Inhalt ist.

Damit zusammen hängt:

6. Professionalisierung führt zu Hyperaktivität und Eventitis
Der Kampf um Aufmerksamkeit betrifft auch das „Management des Publikums“. Ihnen allen ist sicher schon aufgefallen, dass Kunstinstitutionen heute nicht mehr einfach nur mit den "klassischen" Angeboten, der ständigen Sammlung und allenfalls Wechselausstellungen aufwarten, sondern mit einer Fülle von Veranstaltungen und Angeboten. Von der VIP-Preview über den Brunch mit dem Direktor im Museum bis zum Museumskonzert, vom Sponsorenapéro über Museumsnächte mit Loungebetrieb bis zum Yogakurs reichen die Angebote; es werden Führungen, Vorträge, Künstlergespräche, Symposien sondern Zahl organisiert (wie auch unser Anlass zeigt).
Zu den Prinzipien professioneller Organisation gehört es heute also, das ständig was laufen muss, um Leute ins Haus zu ziehen; das führt zum Teil dazu, dass grössere Institutionen in rasantem Rhythmus Ausstellungen eröffnen, die oft nicht der Rede wert sind - aber trotzdem in den Medien landen, weil so viel Wirbel darum gemacht wird. Es führt übrigens auch dazu, dass die permanenten Sammlungen der Kunstinstitutionen in der Wahrnehmung des Publikums, aber auch der Geldgeber abgewertet werden.
Es geht jedenfalls bei all dem Getöse darum, um jeden Preis im Gespräch zu bleiben. (Früher gab es diese Rahmenprogramme übrigens schon auch; ich habe z.b. mal alte Programme der Kunsthalle Basel angeschaut, da machte man das auch.) Nur war wohl die Veranstaltungsdichte weitaus geringer, und man machte wohl auch weniger Aufhebens davon; es war kein strategisches Marketingelement.

WOZU FÜHRT DAS?

7. Professionalisierung führt über kurz oder lang zur gegenseitigen Kannibalisierung der Institutionen.
Die Professionalisierung führt nicht nur zur Normierung von Oberflächen und Inhalten, sie ist auch ein Mittel, in einer saturierten Kulturlandschaft eine Art Ausscheidungswettkampf zu führen. Institutionen kümmern sich mindestens so sehr um ihr Image wie um die Inhalte ihrer Arbeit – und dabei geht es darum, sich in einer Kulturlandschaft zu positionieren.
Da aber die Zahl potentieller (und zahlender) Besucher vermutlich nicht unendlich steigerbar ist, ziehen jene Institutionen, die erfolgreicher auf sich aufmerksam machen, mehr Besucher an - ein, wie Sie sich leicht ausrechnen können, sich selbst verstärkender Effekt. Wer einmal im Gerede ist und als "schick" oder "attraktiv" gilt, kann dann eine ganze zeitlang davon zehren, ungeachtet dessen, ob das Programm noch interessant ist oder nicht. Ins Hintertreffen geraten jene Institutionen, denen das weniger gut oder gar nicht gelingt, die nicht so windschnittig sind. Sie sind doppelte Verlierer: Erstens ziehen sie weniger Publikum an, zweitens haben sie es im Verteilkampf um Subventionen, Sponsorengelder etc. schwerer, weil sie ja offenbar zu wenig attraktiv fürs Publikum sind. Die Professionalisierung ist also der Vollzugsbeamte einer Art Darwinismus zwischen Institutionen: Survival of the fittest.

8. Professionalisierung fördert das Stockpicking bei den Medien
Auch die Zeitungen haben sich in den letzten Jahren professionalisiert.
Die Entwicklung der klassischen Feuilletons - auch ihre Geschichte ist eng verknüpft mit jener des Bürgertums - in den letzten Jahren hat das deutlich vorgemacht. Ursprünglich galten die Feuilletons als "Sonderressorts", das man sich aus Kulturbeflissenheit leistete; die FAZ-Feuilletons der ersten Jahre etwa bestanden aus gerade mal 2 Seiten. Im Zuge der "Kulturalisierung" der 90er Jahre (will heissen: Kultur ist per se gut, also bekommt sie breiten Raum) wurden gerade die oft spöttisch so sogenannten "Leitfeuilletons" aufgebläht (und versuchten so mit der Vermehrung des Kulturangebots Schritt zu halten). Anders als dieses explodierende Kulturangebot sind aber die Zeitungen nicht subventioniert - und folglich mussten sie ihr Angebot infolge der Wirtschaftslage und des veränderten Informationsverhaltens in den letzten Jahren als erste einschränken. Die Zeitungsverlage agierten also professionell: Jene Sparte, die laut Marktforschung die wenigsten Leser hat, wurde an vielen Orten am stärksten eingeschränkt. Kultur als Imagefaktor, wie in den 90ern, wurde damit in Frage gestellt. Ausserdem weiss ja – wie eingangs festgestellt wurde – niemand mehr so recht, was Kultur ist, was zu ihrem Kanon gehört.
Da heute der Königsweg in die Kultur über den Studiengang Kulturmangement führt, gibt es nun mehr aufsässige (oder hartnäckige) Kulturmanager und Öffentlichkeitsverantwortliche als Feuilletonisten, die die Angebotsflut bewältigen können. Die Professionalisierung der Presse führt zwangsläufig zu immer stärkerer Selektion der als rezensionswürdig erachteten Veranstaltungen. Die frühere "Agenda", die Rangfolge der Institutionen und Veranstaltungen, die als "Kanon" gelten, erodiert. Die Kulturredaktionen machen aus der Not eine Tugend und folgen immer stärker der Logik des "Stockpicking", kreieren ihre eigene Agenda. (Am besten lässt sich das an den Wochen- und Sonntagszeitungen beobachten).

9. Die Professionalisierung führt zu einer Bevormundung des Betrachters/Besuchers
Die Professionalisierung will Besucherzahlen steigern – und sie verfolgt deswegen ein klassisches Anliegen der 68, die Verminderung der Schwellenangst. Eigentlich positiv: Die Häuser bieten immer mehr Edukationsangebote, werden populärer. Ich erinnere mich an den Louvre noch Anfang der 80er Jahre, vor dem grossen Umbau: Da hingen nur die Bilder, natürlich tolle Bilder, daneben noch das Schildchen mit dem Titel, und das wars. Man setzte also voraus, dass die Besucher, die überhaupt kamen, gebildet genug seien, den Rest selber zu wissen. Wer die Kenntnisse nicht selber mitbrachte, hatte eben Pech oder musste erst mal einen Kurs in Kunstgeschichte absolvieren. Das war in gewissem Sinne auch sehr elitär und prohibitv.
Mittlerweile gibt es Audioguides, erklärende Folder in allen Sprachen in den Sälen, Bücher und Broschüren für verschiedenste Ansprüche; vieles gut, manches besser, manches schlechter. Allerdings könnte man fragen, ob diese Art der Professionalisierung nicht auch eine Art der Entmündigung oder Bevormundung ist: Man muss sich die Kenntnisse nicht mehr selber zusammensuchen, vielleicht auch Neugierde und dadurch eine Motivaion zum weiteren Forschen entwickeln, sondern bekommt alles mundgerecht vorgesetzt. Von wem eigentlich? Vielleicht macht das auch denkfaul: Alles ist etikettiert, schubladisiert, zu Tode erklärt. Die Herausforderung durch Kunst, auch die Lust, selber was zu entdecken und schauen, wird dadurch gebremst. Professionalisierung bedeutet auch einen Hang zur Convenience-Kunst. Ich weiss, das ist ein Argument, das elitär wirkt, denn vielleicht hat nicht jeder die Voraussetzungen und Mittel, sich kundig zu machen. Aber die Aufbereitung von allem und jedem macht eben auch Entdeckungen schwieriger, Neugierde, Eigeninititative, Denkarbeit.

10. Professionalisierung fördert eine Zweiklassengesellschaft in der Kultur.
Da Kultur vermutlich weiterhin ein soziales Distinktionsmerkmal bleiben wird, kann man darüber spekulieren, welche Folgen die Professionalisierung (definiert als Komplettvermarktung) der Kultur haben wird: Entweder gibt es Gegenbewegungen ("Professionalisierungsverweigerer"), wie sie jetzt schon zu beobachten sind. D.h. ein Erstarken von subversiven Strömungen, die allerdings - wie die klassischen Avantgarden - im Moment ihres Entstehens nur für Insider sichtbar sind, auch wenn sie schneller Mainstream werden als vielleicht vor hundert Jahren. (Besetztes Künstlerhaus über Ostern in Zürich, 1000 Besucher - keine Einladung, keine Pressemappe).
Alternative Angebote, vor allem kleinere Institutionen, werden aber durch den kostenintensiven Professionalisierungsschub stärker zum Nischendasein verdammt, vor allem weil sie nicht so laut brüllen können. Kompensieren können sie dies durch andere Verfahren, sich ins Gerede zu bringen - ich erinnere an das jahrelang völlig unbeachtet vor sich hinwirkende Centre Culturel Suisse und die Aufmerksamkeit, die ihm dank der Hirschhorn-Schau (respektive des Bieri-Skandals) zuteil wurde.

Institutionen, die schon allein wegen ihrer Grösse (und der damit verbundenen laufenden Kosten) einen hohen "Umsatz" erzielen müssen, müssen sich jedoch stärker den Kriterien der Ökonomisierung ("Professionalisierung", aggressives Marketing, publikumsnahes Angebot usw.) unterwerfen. Im schlimmsten Fall werden sie das, was ein Kollege neulich mal als "Coffee-Table-Institutionen" bezeichnet hat.

WIE WEITER?

11. In der Nacht der Professionalisierung sind alle Kühe grau
Es könnte also gut möglich sein, dass in der Nacht der Professionalisierung, in der alle Kühe grau sind, sich mit der Zeit doch wieder Unterschiede herauskristallisieren. Das, was man im Marketing als "weiche Kriterien" bezeichnet, was nur schwer fassbar ist und mit Begriffen wie "Aura", "Groove", "Seele", "Hipness" vielleicht nur annähernd beschrieben werden kann, könnte wieder eine wichtigere Rolle spielen; ähnlich wie bei den Turnschuhmodellen, wo oft gar nicht rational erklärbar ist, warum ein bestimmter Turnschuh Kult wird. In der Kultur dürfte es weniger mit den richtigen Applikationen als mit Inhalten zu tun haben, die eben doch über das Gewohnte hinausgehen. Ob sie deswegen schon wegweisend sind, ist eine andere Frage.
Denn was sich unter den Bedingungen einer "Durchprofessionalisierung" als wegweisend herauskristallisiert, dürfte weniger mit der Qualität einer Museums-Cafeteria als schliesslich doch mit dem Begriff der Kultur in der Gesellschaft zu tun haben. Dieser steht derzeit so radikal zur Debatte, wie schon lange nicht mehr. Noch ist nämlich gar nicht sicher, welche Rolle die Kultur unter den Bedingungen eines globalen neoliberalen Kapitalismus in einer postindustriellen Welt einnimmt, einnehmen kann. Ist sie nur noch palliativ, parareligiöse Ersatz- und Erholungswelt für die von der Arbeitswelt lädierten Angestellten, wie es Marcuse und Adorno schon befürchtet hatten? Sind diese Kriterien und Kritikpunkte der klassischen "Kulturkritik" längst schon fällig für die Mottenkiste? Oder gelingt es, sie zu reaktivieren, die Kultur als Sphäre für Gedankenexperimente, für kritische Befragungen der Realität, für neue Denkmodelle als Ausnahmezone zu erhalten? Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, ist es auch nicht möglich, die Folgen der Professionalisierung - wenn sie über Annehmlichkeiten wie funktionierende Homepages und verfügbare Ansprechpartner in den Institutionen hinausgehen - wirklich zu beurteilen.

DESIDERAT:

12. Die Professionalisierung hat (noch) keinen adäquat entwickelten Begriff der Nachhaltigkeit.
Die Professionalisierung ist nicht etwas, was moralisch angeprangert und beurteilt oder gar rückgängig gemacht werden kann. Es stellen sich daher eher innerhalb des Systems, dem sich offenbar niemand entziehen kann, Fragen wie: Werden auch innerhalb eines Diskurses der Professionalisierung Kriterien für Nachhaltigkeit von Kultur entwickelt (und was heisst es beispielsweise, die Nachhaltigkeit einer Ausstellung zu messen?)? Und zwar Kriterien, die sich nicht anhand relativ leicht messbarer Übernachtungszahlen oder in der Umwegrentabilität für das Kleingewerbe eines Ortes bemessen.

13. Professionalisierung fördert Subversion: Informelle, schwer "professionalisierbare" Kommunikationswege gewinnen angesichts der frei Haus gelieferten Informationsflut als Informanten und Filter an Bedeutung (Mund-zu-Mund-Propaganda, "Netzwerke", Informationen von Kollegen, Bekannten, Vertrauenspersonen). Professionalisierung ist ja immer auch der Versuch, aus dem Unprofessionellen, Dilettantischen Kapital zu schlagen, in dem es formalisiert wird. Ich bin sicher, dass es weiterhin Bereiche gibt, in denen Neues, Kritisches, Produktives gedacht wird.

Zum Schluss daher ein Gedicht.

Song "Pure Vernunft darf niemals siegen" von der Band Tocotronic
(gleichnamige CD, Lado 17140-2L)

PURE VERNUNFT DARF NIEMALS SIEGEN

Pure Vernunft darf niemals siegen
Wir brauchen dringend neue Lügen
Die uns durchs Universum leiten
Und uns das Fest der Welt bereiten
Die das Delirium erzwingen
Und uns in schönsten Schlummer singen
Die uns vor stumpfer Wahrheit warnen
Und tiefer Qualen sich erbarmen
Die uns in Bambuskörben wiegen
Pure Vernunft darf niemals siegen

Pure Vernunft darf niemals siegen
Wir brauchen dringend neue Lügen
Die uns den Schatz des Wahnsinns zeigen
Und sich danach vor uns verbeugen
Und die zu Königen uns krönen
Nur um uns heimlich zu verhöhnen
Und die uns in die Ohren zischen
Und über unsere Augen wischen
Die die, die uns helfen wollen bekriegen
Pure Vernunft darf niemals siegen

Pure Vernunft darf niemals siegen
Wir brauchen dringend neue Lügen
Die unsere Schönheit uns erhalten
Uns aber tief im Inneren spalten
Viel mehr noch, die uns fragmentieren
Und danach zärtlich uns berühren
Und uns hinein ins Dunkel fügen
Und uns wie weiche Zäune biegen
Pure Vernunft darf niemals siegen

Wir sind so leicht, dass wir fliegen
(4 x Refrain).




Barbara Basting, Mai 2005