Barbara Basting

Fotos, die tiefe Emotionen wecken

Der Krieg im Irak ist auch ein Krieg der Bilder. Ein Gespräch mit einem Bildexperten, dem Zürcher Künstler Uwe Wittwer, über die Kriegsfotografie unserer Tage.


Mit Uwe Wittwer sprach Barbara Basting

Ein gängiges Vorurteil gegen das fotografische Bild wird bei Kriegsfotografie besonders akut: Sie zeige nur einen Teil der Wahrheit. Dagegen hat der in St. Gallen lehrende Medienprofessor Peter Glotz jüngst in der «SonntagsZeitung» etwas Wichtiges betont: Es sei abwegig, Bildern vorzuwerfen, sie zielten nur auf die Gefühle. Die Kommunikation über Emotionen sei nicht weniger legitim und wichtig für den Menschen als die über den Intellekt.
Was eigentlich leisten die Fotografien vom Krieg?
Was Peter Glotz sagt, ist ganz wichtig, dass das Bild die Emotion transportiert, und über die Emotion nachher auch Haltungen gegenüber den Geschehnissen entwickelt werden. Es ist dann gar nicht mehr so entscheidend, wie genau das Bild entsteht. Es zeigt etwas von möglichen Vorkommnissen.
Welche Bilder sind Ihnen bisher in der Kriegsberichterstattung stark aufgefallen?
Am Anfang natürlich die Bombardements und Rauchwolken. Aber sie nützen sich nach kürzester Zeit ab. Sie haben auch keine besondere Emotionalität.
Es gibt also ein Moment der Langeweile. Beruht die Bildberichterstattung auf einer laufenden Erhöhung der Dosis?
In den ersten Tagen ganz sicher. Bald nach den Bombardements wurden die verletzten Körper gezeigt. Das ist eine Steigerung, sie verlässt die abstrakte Ebene der Einschläge in der Ferne. Die ersten Bilder von Körpern lösen kurzfristig ein Mitgefühl aus, Wut über die Urheber, auch das Gefühl, man habe Glück, dass man nicht selber dort ist. Und Hilflosigkeit. Und schliesslich: Wie gut, dass der Krieg nicht bei uns stattfindet. Das darf man nicht unterschätzen.
Trotz der Unmengen von Bildern hat man inzwischen das Gefühl, das Geschehen sei jenseits der Bilder, es sei mit Bildern nicht mehr zu erfassen.
Ja, nicht mit diesen Bildern, den Angriffs-, Militärtechnik- und Opferbildern. Es gibt aber eine Kategorie von Bildern, die ganz anders wirken, als wir meinen, die langfristig wirken, die sich in unser kollektives Bildgedächtnis einfressen. Vielleicht kommen die wirklich wichtigen Bilder erst später, von unabhängigen Fotografen, die sich lange überlegen, welches Material sie publizieren. Als Bildproduzent - sei es als Künstler oder als Fotograf - macht man die Erfahrung, dass von vielleicht 1000 Bildern eines über allen anderen steht. Das taucht kaum schon in der ersten Woche auf.
Wie ist das Verhältnis zwischen den Fernsehbildern und den Fotografien?
Mich emotionalisiert das stehende Bild stärker. Das bewegte Bild transportiert eine Handlung, und ich bin dann mehr oder weniger dazu verpflichtet, diese Handlung mitzudenken.
Der Fotografie wird dagegen oft vorgeworfen, sie zeige nur den Moment und wirke dadurch auch verfälschend.
Ich finde wirklich, dass es umgekehrt ist, nicht nur für die Fotografie, sondern für das Bild generell. Weil die Geschichte wegfällt, ist man verpflichtet, es ganz anders zu analysieren.
Die Fotos sind immer mit Bildunterschriften, den so genannten Legenden versehen. Wie wichtig sind diese?
Bei der Zeitungslektüre schaut man meist zuerst aufs Bild, liest die Bildlegende, steigt in den Text ein. Wenn ein Bild aber alleine dasteht, als Rätsel, und ich mir mit der Entzifferung Mühe geben muss, es lesen muss, bekommt es, wenn die Komposition gut ist, mehr Kraft. Studenten habe ich einmal die Aufgabe gestellt, nur anhand von Legenden die Rekonstruktion von Bildern zu versuchen. Es ist praktisch nie auch nur entfernt möglich gewesen, das Bild ausgehend von der Legende zu bauen. Das zeigt etwas von der Problematik der Bildunterschriften.
Sie haben aus einer umfangreicheren Vorauswahl unserer Bildredaktion die Dudelsack spielenden Soldaten in der kuwaitischen Wüste ausgewählt. Warum?
Die beiden spielen nicht für sich selbst. Es berührt mich, dass sie eine Musik machen, die man sonst nicht in der Wüste spielt, die das Heimweh der Soldaten stillen oder es gerade erst auslösen soll. Das wird ganz ungeheuer emotionalisiert. Es werden all diese Fragen aufgeworfen: etwa, dass diese Soldaten unter Zwang stehen, dass man sie über die Heimatromantik trifft. Sie merken, wo sie wirklich sind und wie verrückt das alles ist. Das Bild ist nach streng ästhetischen Gesichtspunkten aufgebaut. Die starke Horizontale und Vertikale, das Versetzen des Horizonts leicht über die Bildmitte, die kreisende Bewegungen der Schatten im Vordergrund, die die statische Situation in Bewegung versetzen und Andeutungen machen über weitere Personen im Hintergrund: ein ungeheures Bild.
Als zweites Bild haben Sie eine Fotografie gewählt, in der ein Soldat von einem Auto mit zwei Toten weggeht.
Es ist ein grausames Bild mit zwei völlig ungeschützten Toten, das aber auch wiederum sehr ästhetisch aufgebaut ist. Eine klassische Kreuzkomposition mit dem Wagen und dem Soldaten, der fast frontal auf uns zukommt, aber uns nicht als Ziel ins Auge fasst und angeschnitten ist. Das Bild hat mehrere Räume: Im Hintergrund wird sogar ein Garten evoziert. Das arabische Graffito auf der Wand signalisiert, wo das Bild stattfindet, dass es mit dem Irak-Krieg etwas zu tun hat, als Zeichen für die Authentizität. Lösen die beiden Toten bei uns Mitgefühl aus? Oder was ist es wirklich? Sie wirken wie hindrapiert, wie die Darstellung des Gekreuzigten in der Malerei oder Skulptur.
Was ist denn hier das emotionale Moment?
Offensichtlich das Weggehen, das Glück-gehabt-Haben, dass diese Feinde schon eliminiert sind. Es ist wie ein Duell. Der Soldat ist aufmerksam, es könnte ständig wieder etwas passieren. In dieser Situation gibt es einen Gewinner und Verlierer.
Sie haben eher ruhige Bilder ausgewählt. Gerade von diesem Krieg gibt es aber schon viele Grauen erregende Bilder.
Die Darstellung des elektrischen Stuhls sowohl in Pressebildern als auch im Kunstkontext, etwa bei Andy Warhol, Lynn Hershman oder Lucinda Devlin in ihrer Fotoserie mit lauter Todeszellen in den USA, die auf der letzten Biennale von Venedig zu sehen war, das ist für mich das Schockierendste, was es an Bildern überhaupt gibt. Es ist für mich schockierender als diese Kriegsbilder, viel abgründiger. Denn es zeigt die Vorbereitung eines menschlichen Willensaktes, der sauber inszeniert wird. Daran gemessen sind diese Kriegsbilder unkalkuliert, anarchisch. Skandalös ist nicht, dass man diese Bilder zeigt, sondern dass es diesen Krieg überhaupt gibt.
Die Todesstuhlbilder funktionieren über die Leerstelle, man denkt sich die Toten hinzu. Es geht also um die Fantasien, die das Bild auslösen kann.
Die Abwesenheit des toten Körpers finde ich sehr bedeutsam: Obwohl er abwesend ist, ist er präsent. In Bildern denkt man sich immer etwas dazu, aus der eigenen Erfahrung, Erinnerung, aus dem eigenen Bildarchiv im Kopf, man addiert das dazu. Ein extrem spannender Prozess. Schaut man die Bildstrecken an, die jetzt in den internationalen Newsmagazinen zum Irak-Krieg erscheinen, fällt auf, dass sie neben der Sensationsgier eine Lust an schaurig schönen Bildern befriedigen. Fast alle beginnen mit den dramatisch beleuchteten Rauchwolken über Bagdad. Das erinnert an Poussins Wolkenbilder. Ich habe mich jetzt öfters gefragt, wie diese Fotografien im Kunstkontext funktionieren, wo es dort Vorbilder gibt. Paolo Uccello hat im 15. Jahrhundert seine drei berühmten Bilder der Schlacht von San Romano gemalt. Er war so fasziniert von der Entdeckung der Zentralperspektive, dass er alle Körperteile in den Fluchtpunkt der Zentralperspektive gelegt hat. Die Idee, dass der zerstückelte Körper einer Ästhetik untergeordnet wird, dem Gesamtbildkonzept einer Schlacht, ist also etwas ganz Altes.
Man entgeht also der Ambivalenz zwischen Grauen und Faszination nicht?
Vielleicht kann man sagen, dass alle die Bilder, die wir auf dem Tisch haben, die Illustrierten, die Kriegsbilder, nie diese Wirkung haben können wie ein Memento mori. Wenn man zurückgeht in der Geschichte der Malerei und ein Schädelbild von Goya, von Chardin, von Stosskopff nimmt - führt das nicht letztendlich viel stärker zum Innehalten, zur Besinnung darauf, dass man auch endlich ist? Dagegen erzeugen die Bilder, die wir hier auf dem Tisch haben, eine ungeheure Erregtheit, ein Aufbegehren gegenüber dem, was an Ungerechtigkeiten passiert auf dieser Welt. Aber der eigene Tod, das Wissen darum kommt mir näher, wenn ich ein ruhiges Stillleben mit einem Schädel anschaue.
Die Kriegsbilder bezieht man immer automatisch auf das Personal, das sie anbieten: das Militär, die Zivilisten, die Verletzten. Es ist immer der andere, den es erwischt.
Ich sage nicht, dass ein Memento mori wichtiger wäre als diese Bilder. Aber es sind zwei Bildkategorien, die uns beide den Tod zeigen. Das Memento mori ist ein Spiegel, der vor meine Endlichkeit gehalten wird, und die Kriegsbilder zum Beispiel sind ein Spiegel der Welt, in der ich drinstehe als der, der ich heute bin, in der ich Haltungen einnehmen muss. Es sind zwei ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die Todesthematik. Bei dem soldatischen Ritual bin ich nicht betroffen, es regt mich höchstens etwas auf daran. Und bei Bildern, die Leichen zeigen, werde ich selber mit dieser Situation konfrontiert, es löst viel Wut aus, aber es konfrontiert mich nicht mit meinem eigenen Tod. Es sind eher Empörungsbilder. Die Kraft der Bilder hält einen auch wach.



ZUR PERSON
Uwe Wittwer
Der Zürcher Künstler Uwe Wittwer ist 1954 geboren. Ausstellungen zuletzt im Kunstverein Leverkusen 1997,
im Helmhaus Zürich 1998 und in der Kunsthalle Winterthur 2001; neuere Arbeiten waren 2002 in der Galerie
Walter in Zürich zu sehen. In seinen konzeptuellen Malereien greift Wittwer Motive wie Stadt- und
Ruinenlandschaften, aber auch triviale Muster auf: als Reflexion auf geläufige Bilder und ihre Verwendung.
(TA)

Wie die Bilder in die Zeitung kommen
Die aktuelle Bildberichterstattung aus dem Irak ist deutlich von der Digitalisierung der Fotografie in den
letzten Jahren geprägt. Sie hat die Arbeit der Bildredaktionen in der Tagespresse etwa gegenüber dem
ersten Golfkrieg verändert; vor allem, weil die Menge der verfügbaren Bilder stark zugenommen hat. Auch
das Übermittlungstempo ist seit 1991 zehnmal schneller, schätzt Remo Lötscher, Leiter der Bildredaktion
des «Tages-Anzeigers». Damals griffen die Zeitungen noch viel stärker auf Standbilder von CNN zurück,
weil die Fotografen langsamer waren als das Fernsehen.
Die Fotografen müssen heute ihre Bilder weder entwickeln noch printen. Sie können sie einfach per
Computer und Satellitenhandy mit Orts-, Zeit- und sonstigen Angaben übermitteln - zunächst an die Agentur,
die eine erste Vorauswahl trifft, wobei rund 50% des Materials ausgeschieden werden, bevor es an die
Redaktionen weitergeleitet wird.
Seit Ausbruch des Krieges treffen in dieser Redaktion pro Tag auf digitalem Weg mehr als 1000 Bilder nur
zum Thema Irak-Krieg ein; sie stammen von den beiden Bildagenturen Keystone und Reuters, die in der
Schweiz im Newsbereich dominieren und mit ihren Bildern das Geschehen in der ganzen Welt abdecken. In
Friedenszeiten speisen diese Agenturen rund 400 aktuelle Bilder pro Tag aus allen Themenbereichen ein.
Hinzu kommen die Bilder unabhängiger Agenturen wie Magnum, die etwa 25% des Bildaufkommens
beitragen. Die Fotografen der so genannten Independents arbeiten bewusst langsamer, haben dadurch
einen anderen Zugang zu Themen. Das macht ihre Arbeit für die Tagespresse schwerer verwendbar; ihre
Bilder erscheinen meist später in Magazinen oder Bildbänden.
«Alle gehen näher ran»
Die grossen Bildermengen ermüden und erschweren es der Bildredaktion, die pro Zeitungsausgabe
vielleicht zwei, drei Bilder von diesem Krieg bringen kann, die «richtigen» Bilder zu finden, wie
TA-Bildredaktorin Béatrice Geistlich bemerkt. Zwar sei die Bildauswahl gegenüber dem Krieg 1991
vielfältiger geworden. Weil viele Fotografen bei den Amerikanern und Briten «eingebettet» sind, dominiert
allerdings die Optik der Angreifer. Es ist an der Bildredaktion, solche Gewichtungen allenfalls durch die
Auswahl zu korrigieren.
Auf dem gelieferten Bildmaterial werden aber auch mehr zivile Opfer gezeigt als 1991, als diese fast gar
nicht oder erst spät vorkamen. «Alle gehen näher ran, die Drastik nimmt zu», bemerkt Remo Lötscher.
Heute seien - auf Grund einer gesunkenen Schwelle gegenüber brutalen Bildern - viel mehr grausame Bilder
im Angebot der Agenturen als noch vor zehn Jahren.
Fotografien wurden immer schon manipuliert. Die Digitalisierung macht das wesentlich einfacher. Die «Los
Angeles Times» hat gerade ihren Fotografen Brian Walski fristlos entlassen, weil er am Computer aus zwei
ähnlichen Fotografien aus dem Irak-Krieg «aus kompositorischen Gründen», so Walski, eine dritte fabriziert
hat. (bas)

Text erschienen in: Tages-Anzeiger Zürich,2003-04-07; Seite 53