Barbara Basting

Volkseigene Seelenlandschaften

Neo Rauch, Komet am deutschen Kunsthimmel, in der Zürcher Kunsthalle



Die Karriere des aus Leipzig stammenden Künstlers Neo Rauch ist ein glänzendes Beispiel für einen aktuellen Kunst-"Hype". In den letzten drei, vier Jahren hat sich der 1960 geborene Rauch zum Star einer neuen deutschen Malerei gemausert, die ihre Saftwurzeln in der Leipziger Schule hat. Deren ältere Exponenten - wie Wilhelm Tübke, Wolfgang Mattheuer oder Bernd Heisig, bei dem Rauch Meisterschüler war - wurden und werden mit ihrer altväterischen Betonung des Handwerklichen und des realistisch-allegorischen Erzählens vom bundesrepulikanischen Kunstbetrieb einst verschmäht oder skeptisch beäugt. Lieber hielt man sich an die politisch korrekten Ost-Dissidenten wie Baselitz, A.R.Penck oder Richter. Nun, ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung, ist man für das von der Schüler-Generation erschlossene Erbe aus DDR-Zeiten offenbar empfänglicher. Wird hier nachträglich Sühne geleistet?
Die Begegnung mit dem malerisch virtuosen, in seinen Bildfindungen aber unterschwellig bedrohlichen, herben Werk Neo Rauchs verstört. Zunächst fällt dessen charakteristische, anziehende Farbigkeit auf. Konstrastreich eingesetzte, um Grün bereicherte Primärfarben dominieren. Doch werden diese meist gedämpft, pastellig gebrochen. Selbst über den buntesten Bildern scheint ein Weiss- oder Grauschleier zu liegen. Die Assoziation mit alten Kinderbuchillustrationen à la Struwwelpeter, mit Comics, schlecht gedruckten oder vergilbten Plakaten und mit dem unfrohen Kolorit der sozialistischen Warenwelt stellt sich unwillkürlich ein.
Oder rühren diese Anklänge eher von den versatzstückhaft eingesetzten Motiven her, aus denen Rauch seine komplexen, collagenhaften Kompositionen fügt? Die Architektur der Kombinate und Wolkenbügel, der Hangare und Wachttürme von der Todesgrenze gehört zu seinem Bildinventar ebenso wie die Formen von Raketen, Helikoptern, Tanksäulen, Kühlschränken. Die wiederkehrenden Naturkulissen wirken oft ebenso abziehbildchenhaft wie die teilweise modellierten, dann wieder in Plakatmanier flach gemalten Figuren. Strenge, ungemütlich direkt aus der Nazi-Typologie übernommene Genossinnen (eher selten) und reckenhafte, sehr deutsche Ingenieur- und Arbeitertypen (eher häufig) gehen rätselhaften Tätigkeiten nach. Die Männer strecken dabei, hallo Sigmund, oft steckenförmiges Gerät, Sonden, Sucher, Bohrer, Gewehre und Pinsel von sich. Sind dies Allegorien der Arbeit, der Kunst, der Kunst als Arbeit?
Auf den Bildern finden sich nämlich auch zahlreiche Staffeleien und Paletten, und nicht wenige der Figuren sind Selbstporträts des Malers. Seltsam beziehungslos stehen sie im meist perspektivisch konstruierten Bildraum, der wie die figurinenhaften Körper oft ins Flächige kippt. Nicht die Blicke oder Gesten der steifen Pappkameraden verklammern die Kompositionen, sondern ganz vom Malerischen her gedachte Farb- und Formverschränkungen. Auch die absonderlichen Gerätschaften werden zu bildstrukturierenden Elementen.
Rauchs reglose, eingefrorene Szenerien mit ihrem verlockenden, jedoch ins Leere führenden Erzähl- und Deutungsangeboten münden in eine Reflexion über die Möglichkeiten heutiger Malerei. Der Künstler geizt nicht mit Kulinarik für den schlürfenden Blick, stellt ihr aber eine sperrige, mit historisch unangenehmen Bedeutungen aufgeladene Welt der Gegenständlichkeit gegenüber. Hier zelebriert einer genüsslich die Genussverhinderung. Die fast unerträgliche Spannung zwischen visuellem Reiz und verquerem Bildinhalt fesselt einen an diese volkseigenen Seelenlandschaften und lässt zugleich frösteln. Vorbehalte weckt Rauchs formelhafter Einsatz seiner verblüffenden Fähigkeiten.

Bis 5. August, Katalog 40 Franken.