Barbara Basting

Netzkunst provoziert die Kunstmuseen

Kunst im Internet ist eine Herausforderung für die Museen. Während in den USA bereits etliche Institutionen darauf setzen, tun sich hier zu Lande die Häuser schwer damit.



Die Adressen im Internet werden allmählich knapp. Deswegen schlug die ICANN (Internet
Corporation for Assigned Names and Numbers), die für die Zuweisung von Domain-Namen
zuständig ist, jüngst neue Adresskategorien vor. Jeder Internetsurfer kennt die Anhängsel
.org, .net, .edu, .com. Zu diesen sollten nun neue wie .info oder .museum kommen. Dieser
Vorschlag könnte zwei Probleme auf einmal lösen: Die Homepages von Museen im Internet
wären klar als solche gekennzeichnet und würden sich von kommerziellen Anbietern
unterscheiden, die auf Verwechslung spekulieren, wie beispielsweise der "Weblouvre", der
nichts mit dem Pariser Museum zu tun hat. Ausserdem gäbe es endlich einen klar definierten
Ort für Kunst im Internet.

Doch genau deswegen ist das .museum-Anhängsel nicht unproblematisch. Das erklärte
jüngst Jon Ippolito, Künstler und Kurator für Medienkunst am New Yorker Museum of Modern
Art, in einem polemischen Brief im Rhizome-Digest (http://www.rhizome.org) an die
Domain-Verantwortlichen. Ippolito versteht sich als Anwalt der Netzkünstler, wenn er darauf
hinweist, dass durch .museum jene Formen der "Online-Kreativität", die nicht ortsgebunden
seien, diskriminiert würden.

Opposition der Museen

Es gehört sogar zu den Kennzeichen der Online-Kunst, dass sie sich seit 1994 zum grössten
Teil ausserhalb traditioneller Institutionen entwickelt hat. Szenegruppen haben an
verschiedenen Orten eigene Medialabs und virtuelle Netzwerke geschaffen. Diese
"http://Net.art"-Szene, die das World Wide Web mit guten Gründen für den einzigen sinnvollen
Ort ihres Schaffens hält, kultiviert eine trotzige, wenn auch ambivalente Opposition zum
Museum. Netzkünstler sind nämlich generell wenig daran interessiert, präsentable Objekte
oder Artefakte zu schaffen. Vielmehr setzen sie sich kritisch mit den im Internet
zirkulierenden Datenströmen und Kommunikationsstrukturen auseinander. Ein neueres
Beispiel ist die ironische "Universal Page" (http://www.universalpage.org) von Natalie
Bookchin/Alexej Shulgin. Eine Spezialprogramm durchkämmt in Echtzeit das gesamte Web
und destilliert daraus eine Art Durchschnittsseite: unverständlicher Zeichensalat, der sich
aber, wie das Netz, ständig ändert.

Ippolito sieht durch die Domain .museum die mit der Netzkunst neu aufkeimende Hoffnung
gefährdet, die üblichen Fressketten des Kunstbetriebs - von den Galerien über Sammler,
Kritiker, Kuratoren bis zur Endstation Museum - könnten aufgebrochen und neu definiert
werden. Die Chance würde verspielt, von der Fixierung aufs Museum als höchstrichterlicher
Instanz für Kunst loszukommen.

Und noch aus einem anderen Grund ist die Netzkunst ein wichtiger Katalysator in der Kunst-
und Kulturentwicklung, wie Peter Weibel, Direktor des Karlsruher Zentrums für Kunst und
Medientechnologie ZKM, erklärt: "Durch Webart verwandelt sich jede bisher rein kulturelle
Institution auch in eine Medieninstitution. Jedes Museum wird automatisch zu einer
Sendeanstalt. Es konkurriert in Zukunft mit Funk, Film und Fernsehen."

Museen als Auftraggeber

Die führenden Häuser in der Schweiz haben die rasant fortschreitende Entwicklung dieser
neuen Kunstform bisher verschlafen. Die aufgeschlossensten Museen hingegen, die vor allem
in den USA zu finden sind, treten inzwischen dezidiert als Auftraggeber und
Produktionspartner für die oft recht betreuungs- und kostenintensiven Netzprojekte hervor.
Ihre bisherigen Erfahrungen zeigen, welche Herausforderungen die neue Kunstform mit sich
bringt.

Einer der Pioniere, Steve Dietz vom Walker Art Center in Minneapolis, kaufte schon vor
einigen Jahren das "adaweb" und lässt es seitdem auf dem hauseigenen Server laufen. Das
"adaweb" ist eine von Benjamin Weil kuratierte, inzwischen abgeschlossene Sammlung früher
Online-Arbeiten. Daneben wird sukzessive ein eigenes Sammlungskonzept entwickelt, für das
Dietz gemäss etwa sechs bis zehn Werke jährlich in Auftrag gegeben werden. Dietz hält es
dabei für wesentlich, das Diskussionsumfeld und die Entstehungsgeschichte von Netzkunst
mit zu konservieren, beispielsweise die Debatte in den Internetforen über das Copyright, die
einige Künstler zu einer Online-Arbeit anregte. "Mein Hauptziel und -interesse ist, zumindest
teilweise ein vielfältiges Umfeld samt einer Infrastruktur zu schaffen, die Netzkunst fördert
und all das, was Künstler mit den Netzwerken anstellen."

"Adaweb"-Urheber Benjamin Weil, wie Dietz inzwischen einer der einflussreichsten Kuratoren
für neue Medien, amtet in dieser Funktion seit kurzem am MoMA von San Francisco. Auch
Weil plädiert für Aufträge seitens der Institution und verfolgt damit das Ziel, die
Produktionsprozesse bei der Entstehung digitaler Kunst genauestens zu dokumentieren.
"Angesichts des rasanten technologischen Fortschritts veralten alle Werke, die in digitalen
Formaten erstellt werden, rasch." Das Sammeln oder sinnvolle Archivieren von Netzkunst
erfordere völlig neue Vorgehensweisen. Als Auftraggeber könne man entsprechende
Strategien in Zusammenarbeit mit den Künstlern erproben. Dies werde, so Weil, auf jeden Fall
Auswirkungen auf die Funktion der Museen haben. Es ermögliche, mit neuen Produktions- und
Distributionsmodellen zu experimentieren.

Die genannten Museen profilieren sich mit Produktionsprogrammen, die zu ihrer sonstigen
Sammlungspolitik passen. Dabei wird auch über geeignete Präsentationsformen von nicht
installativen Online-Projekten nachgedacht. Lynne Cooke etwa, Kuratorin der New Yorker Dia
Foundation, deren seit 1995 entstandene, kommentierte Kollektion von
Auftrags-Web-Arbeiten vorbildhaft ist, weist im Gespräch die Vorstellung energisch von sich,
nicht installative Web-Kunst auszustellen: "Man studiert sie doch eher für sich zu Hause,
liest sie wie ein Buch." Auch der prononcierte Avantgardeanspruch der Web-Kunst ist Cooke
suspekt. Wie jedes neue Medium, wie zuvor schon Fotografie, Film und Video, sei das Internet
in erster Linie eine Herausforderung für die Künstler. Dabei gehe es nie allein um den
technologischen Aspekt. "Mich interessiert weniger das Web als ein offenes Feld, sondern wie
es auf die Tätigkeit der Künstler zurückwirkt." Gespannt verfolgt Cooke derzeit, welche
Strategien die verschiedenen Kunstinstitutionen im Umgang mit Netzkunst einschlagen. Die
Dia Foundation lädt für ihr Produktionsprogramm immer wieder auch Künstler ein, die keine
Erfahrung mit dem Medium haben und daher, so Cooke, oft die interessanteren Fragen stellen.

Neudefinition der Museen

Gemäss Peter Weibel zwingt neben der webweiten Abrufbarkeit gerade das Ausscheren der
Netzkunst aus herkömmlichen ökonomischen Rastern die Kunstinstitutionen zur
Neudefinition ihrer Rolle. "Netzkunst könnte überall gezeigt werden, deswegen ist der
Produktionsaspekt so wichtig, denn die Museen haben die Aufgabe, den Netzkünstlern, die
vorläufig nicht vom Verkauf ihrer Arbeit leben können, Produktionsmittel und Stipendien zur
Erarbeitung von Konzepten zur Verfügung zu stellen." Webart werde im Zeitalter der
Online-Museen sogar zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor, mit dem ein Haus sein Profil
schärfen könne.

Dass die europäischen Museen ihren amerikanischen Pendants auf dem Gebiet der neuesten
Medienkunst hinterherhinken, sieht Weibel in einer tief verwurzelten europäischen
Technologiefeindlichkeit begründet, die auch aus den "unaufgearbeiteten Tabus der
europäischen Geschichte ableitbar" sei. "Das kollektive Gedächtnis hat verdrängt, dass die
faschistischen und nationalsozialistischen Bewegungen in Europa dynamisch und
technologiefreundlich waren. So herrscht unbewusst noch immer der Konnex von totalitären
Systemen und Technologie." Weibel erinnert daran, dass "die wechselseitige Abhängigkeit
von Moderne, Technologie und Politik leider immer noch tabuisiert ist". Die digitale Kunst
rüttelt an solchen Tabus. Darin liegt vielleicht ihre grösste Provokation.

Web-Adressen der erwähnten Institutionen:
http://www.diacenter.org
http://www.walkerart.org
http://www.sfmoma.org
http://www.zkm.de



barbara.basting@bluewin.ch