Barbara Basting

Projektionskunde

Der irische Künstler James Coleman wird sechzig



Wenige Medienkunstwerke sind von so eleganter Schlichtheit wie das 1972/73 entstandene "Slide Piece" des Iren James Coleman. Die immer gleiche Aufnahme eines banalen Platzes mit Autos und Tankstelle in Mailand wird projiziert. Auf den ersten Blick wirkt die Aufnahme ebenso kunstlos wie das alltägliche Sujet. In ihrer kalkulierten Farbigkeit und strengen Bildkomposition aber ist sie schon charakteristisch für Colemans manieristisch unterkühlten Blick. Die synchronisierte Tonspur gibt bei jeder neuen Einblendung des Bildes eine Beschreibung durch verschiedene Betrachter wieder. Dies löst einen nachhaltigen Prozess der Verunsicherung aus: Verändert sich nicht auch das Bild von Mal zu Mal? Oder sieht man es nur dank der Kommentare jedesmal anders? "Slide Piece" ist ein brillantes Schlüsselwerk, in dem Coleman schon das Generalthema seiner späteren Arbeit anschlägt, das Verhältnis von visueller und sprachlich gesteuerter Imagination zueinander.
Umso überraschender, dass der Name des 1941 in Ballaghaderreen, County Roscommon, Irland geborenen Künstlers selbst in seriös wirkenden Überblickskompendien zur Medienkunst nicht zu finden ist. Unter seinen Generationsgenossen von Bruce Nauman über Vito Acconci bis Dan Graham hätte er sehr wohl einen Platz verdient. Die Fehlanzeige ist symptomatisch für die Sortierraster des Kunstbetriebs. Wer wie Coleman fast ausschliesslich mit installativen Arbeiten antritt und dabei noch kompromisslos ist, wenn es um die technische Ausführung geht, riskiert reduzierte Präsenz und Sichtbarkeit. Die Zahl jener, die seine künstlerische Entwicklung über die Jahre hinweg detailliert verfolgt haben, dürfte sich in Grenzen halten.
Colemans Arbeiten lassen sich auch kaum im Vorübergehen konsumieren. Eine Teil-Retrospektive 1989 im Stedelijk van Abbemuseum, Eindhoven zeigte zwar sechs seiner Werke, diese aber über fast ein Jahr verteilt in kleinen Portionen. Man wollte den Besuchern offenbar nicht zu viel visuelle Astronautennahrung auf einmal zumuten.
Der fehlende Lexikoneintrag verrät zudem einiges über die zurückgezogene und konzentrierte Arbeitsweise Colemans. Seit 1958 hat der Künstler, der nach etlichen Jahren in Italien wieder in Irland lebt, kaum mehr als dreissig Werke realisiert. Obwohl diese seit den 80er Jahren an prominenten Orten präsentiert und früh von einflussreichen Kritikern wie Achille Bonito Oliva und Arthur Danto erwähnt wurden, verschaffte ihm erst das verstärkte Interesse an Medienkunst in den 90er Jahren Auftrieb. Dabei gehört er, wie die Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss 1997 in einem klugen Essay bemerkte, zu den wenigen Künstlern, die ein Medium, nämlich das der Diaprojektion, für die Kunst neu "erfunden" haben.
Doppelprojektionen, Überblendungen, raffinierte Verschränkungen von Projektionsrhythmen und Tonspuren, von visuellen und verbalen Erzählmustern sind Colemans bevorzugte Arbeitsmittel. Oft geht es in seinen Bildgeschichten, die auf das Trivialgenre des Fotoromanzo ebenso sichtbar zurückgreifen wie auf szenografische Elemente des Theaters, um komplexe menschliche Beziehungen. Hartnäckig ergründet Coleman mit seinen Mitteln ein schillerndes Zwischenreich, wo die Bilder weder statische Fotografie oder Malerei, noch bewegter Film sind. Diese spezifische Recherche lässt ihn als Pionier erscheinen. Denn die Auseinandersetzung mit der medialen Wahrnehmung und Modellierung der Wirklichkeit beschäftigt eine wachsende Zahl jüngere Künstler.
In den vergangenen Jahren hat Coleman seine bestechende künstlerische Forschungsarbeit zur Perfektion getrieben. So kapitale Werke wie "I N I T I A L S " (1993-94) oder "Charon/MIT Project" (1989) sind komplexe, zugleich atemberaubend suggestive Studien über sprachliche und visuelle Erinnerungsvorgänge. Bei aller analytischen Schärfe bleibt ein literarisches, erzählerisches Anliegen noch im Zergliederungsprozess greifbar. Es weckt die Begehrlichkeit stärker als je ein abgerundetes Ganzes. Darin vielleicht liegt Colemans Geheimnis.