Barbara Basting

DIGITAL ARTS

Bilder-Baukasten für neue Musik


Um den Begriff der Interaktivität wird im Zusammenhang mit den neuen Medien viel Aufhebens gemacht. Doch viele ihrer bisherigen Anwendungen, ob es sich nun um Websites oder CD-Roms handelt, sind nicht viel interaktiver als ein Lichtschalter, nur dass es mehr Optionen zum An- und Ausknipsen gibt. An die komplexe, unberechenbare Interaktivität, wie man sie etwa aus zwischenmenschlichen Beziehungen nur zu gut kennt, kommen sie nicht heran. Folglich sind sie um einiges langweiliger. Auch als Basis für Kunstwerke schien die einfache Stimulus-Response-Auffassung des Interagierens bisher wenig herzugeben.
Das sich dies allmählich ändert, beweist auf so verblüffende wie vergnügliche Weise die CD-Rom "Small Fish". Dabei handelt es sich um eine Koproduktion zwischen dem Komponisten Kiyoshi Furukawa, dem Künstler Masaki Fujihata und dem Programmierer Wolfgang Münch, die sich im Institut für Musik und Akustik des Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM getroffen haben.
"Small Fish" - das sind fünfzehn verschiedene Partituren, die man auf dem Bildschirm aufrufen kann. Sie haben so suggestive Titel wie "Forest", "Parrot", "Planets", "Garden", "Clockwork", "Molecular Dance" oder eben "Small Fish". Allerdings handelt es sich nicht um Partituren, auf denen Notenlinien und Notenzeichen zu sehen wären, sondern eher um Grafiken mit verschiedenen farbigen Elementen. Manche erinnern an die abstrakte Kunst der Moderne - an Robert Delaunays Farbkreise, an Miros oder Kandinskys Bildkompositionen. Sie knüpfen aber auch an die grafischen Partituren an, mit denen die E-Musik seit den 50er Jahren experimentiert hat, um neuartige Klangbilder zu fixieren und gleichzeitig den spielerischen, interpretativen Freiraum der Musiker und Dirigenten zu erweitern.
Einzelne dieser Partiturelemente bewegen sich nach eigenen Gesetzen, ähnlich wie Bildschirmschoner. Die meisten aber können mit der Maus gesteuert oder umplaziert werden. Ihnen sind verschiedenartige, mehr oder weniger auskomponierte, mal eher jazzige, mal eher minimalistisch anmutende musikalische Sequenzen und Klangcharaktere vom Einzelton bis zur komplexeren Tonfolge oder Melodie zugeordnet. Die Bildelemente lassen sich wie Stellvertreter oder Avatars des Benutzers verwenden: Man kann sie über den Bildschirm ziehen, wie man mit der Hand über die Tasten eines Klaviers fahren kann, und löst dann Töne oder wiederum kurze Sequenzen aus. Der Benutzer kann die Grafiken umdisponieren und damit eine neue Bildordnung herstellen. Damit produziert er immer auch gleichzeitig Musik. Allerdings lässt sich nicht leicht herausfinden, welche Elemente was auslösen: bevor man gezielter "komponieren" kann, muss man erst einmal die verschiedenen Möglichkeiten ausprobieren. Auch dann führen die eigenen Handlungen nicht immer zu berechenbaren Resultaten. Aber immer entstehen beliebig lange "Stücke" von eigentümlichem Reiz.
Dabei arbeitet das System ohne Zufallsgenerator. "Der Ausschluss des Zufalls ist für das musikalische Konzept absolut unabdingbar", erklärt der Programmierer Münch, "denn nur so kann eine während des Spiels entstandene Tonfolge grundsätzlich wiederholbar sein." Dennoch lassen sich die möglichen Kombinationen kaum ausschöpfen. Übrigens erklingt auch Musik, wenn man absolut gar nichts tut, da in diesem Fall das System mit sich selber interagiert. "Für den Betrachter von aussen ist es fast unmöglich, nur aus der Beobachtung des Verhaltens eines Systems auf die Beschaffenheit der einzelnen Teile zu schliessen", bemerkt Münch im erklärenden Beiheft.
Die musikalischen Bausteine von "Small Fish" sind eine verblüffende zeitgenössische Antwort auf Bartoks Mikrokosmos und auf Conlon Nancarrows "Etudes for Player Piano", die noch mit dem Konzept der Mechanisierung arbeiteten, um es auf die Spitze zu treiben. Mit der Bild-Ton-Kombination wird die symbolistische Idee der Synästhesie, wie sie etwa Alexander Skrjabins mit dem "Farbenklavier" umzusetzen versuchte, weitergesponnen. Doch die eigentliche Bedeutung einer solchen experimentellen CD-Rom besteht wohl weniger in der Einzigartigkeit der visuellen und auditiven "Partituren". Ihre Neuigkeit liegt vor allem in einer spezifischen interdisziplinären Zusammenarbeit von hoch spezialisierten Künstlern, die ihre verschiedenen Visionen miteinander in Einklang zu bringen versuchen und in der Auseinandersetzung mit den elektronischen Medien ästhetische Perspektiven entwickeln. Sie könnten die zählebigen, in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ohnehin antiquierten Konzepte vom Autor, sprich Komponisten oder Künstler, dem ein williger Interpret und passiver Zuhörer gegenübersteht, ebenso stark ins Wanken bringen wie den herkömmlichen Werkbegriff. Hier hat John Cage vorgearbeitet, indem er die interpretative Komponente betont hat, die Öffnung der Komposition auf die aktive, nicht nur nachvollziehende Beteiligung der Ausführenden. Übrigens haben auch Kinder, die wieder mal kein Aquarium zum Geburtstag bekommen haben, grossen Spass an "Small Fish".


"Small Fish", ZKM digital arts edition #3 (1999), läuft auf Mac und PC (min. 32 MB, MacOS 8/Windows 95/98) und braucht das Plug-In Quicktime.
Vertrieb: Hatje cantz Verlag, Senefelder Str. 12, D-73760 Ostfildern, Tel. 0049(0)711.440.50, Fax 0049(0)711.440.52.20, e-mail: sales@hatjecantz.de