Barbara Basting

Kommissionen nein danke, Bundeskulturserver ja bitte

Das Bundesamt für Kultur nimmt sich der neuen Medien an. Das amerikanische Netzkulturprojekt "Rhizome" könnte in mancher Hinsicht ein Vorbild sein.



Auch dem Bundesamt für Kultur ist nicht entgangen, dass sich ein wachsender Teil des heutigen Kulturschaffens im offenen Feld der neuen Medien abspielt. Der unterschiedlichen Manifestationen von der Netzkunst über die Videoperformance bis zur Produktion von Künstler-CD-Roms nimmt sich seit einiger Zeit die Sektion Film an, die deswegen auch umgetauft werden soll. Vorschläge werden dankend entgegengenommen.
Auch sonst leiht das BAK sein Ohr der Basis. Franziska Trefzer, Mitarbeiterin der Sektion Film, lud KünstlerInnen, ProduzentInnen, RestauratorInnen, KuratorInnen und Vermittelnde im Bereich der neuen Medien zur Arbeitstagung "Sitemapping" vom 13.-15. September nach Basel. Zwecks Horizonterweiterung wurden auch einige KuratorInnen aus dem Ausland für Vorträge eingeflogen. Mehrere Arbeitsgruppen sondierten und kartografierten die Probleme und Potentiale der neuen Medien, insbesondere des Internet, in der Schweiz. Und es wurden auch Vorbilder genannt, die in puncto Vermittlung und Archivierung von Netzkunst bereits Standards gesetzt haben, etwa das amerikanische Projekt "Rhizome.org".
Eine erste Befragung ergab, dass vor allem die schon bestehenden informellen Vernetzungen unterstützt werden sollten. Auch eine Art Forschungszentrum, ein Medialab in der Art des Karlsruher ZKM oder des MECAD Barcelona, dessen Leiterin Claudia Gianetti ihr Modell vorstellte, wären ein Desiderat. Vor allem aber soll sich die Förderung flexibler erweisen als bisher. Denn mit Projekten, die nicht in die klassischen Sparten passen, tun sich die Förderer vom Dienst bekanntlich schwer.
Weiter sollten Kooperationen auf internationaler Ebene - gerade CD-Roms oder Netzprojekte halten sich eher an Sprach- als an Landesgrenzen - unbürokratischere Unterstützung erfahren. Die neuen Medien würden zwar immer günstiger in der Produktion, legte etwa André Iten, Direktor des profilierten Genfer "Centre pour l'image contemporaine" dar. Gestiegen ist dagegen der Aufwand für Präsentation, Distribution und Erhalt der Werke.
Zu den konkreten Vorschlägen der Sitemapping-Arbeitsgruppen gehört die Einrichtung eines "Bundesservers" für bestehende Netzkulturprojekte, damit diese nicht vom wechselnden Schicksal und Goodwill kommerzieller Server abhängig sind. Von Kommissionen jedoch will man - symptomatisch für eine Szene, in der bisher nur Pioniergeist und Eigeninitiative zum Erfolg führte - nicht viel wissen, da diese ironischerweise als zu "virtuell" empfunden werden. Auch BAK-Direktor David Streiff favorisiert eher ein Intendantenmodell. Die Gegenvorschläge des BAK darf die Basis im April erwarten.
Während man hierzulande noch fleissig Wunschzettel schreibt, statuiert die amerikanische Medienplattform "Rhizome.org" schon seit geraumer Zeit ein Exempel. "Rhizome" wurde 1996 in New York vom heute 32-jährigen Mark Tribe gegründet. Ein Studienjahr in Berlin 1995 brachte Tribe mit den Anliegen der dortigen Netzgemeinde - das Netz nicht kampflos dem Kommerz zu überlassen, sondern für Kunst und kritische Diskurse zu nutzen - in Berührung.
Heute, keine fünf Jahre später, zählt "Rhizome.org" - nicht ".com" wohlgemerkt, das in Soho ansässige Unternehmen ist eine steuerbefreite Non-Profit-Organisation, und erhält in geringem Umfang staatliche Gelder - zu den vitalsten und durchdachtesten Projekten in diesem Bereich. Wer einen Einstieg nicht nur in die Internetkunst, sondern auch in die zugehörigen Debatten sucht, ist hier richtig. Vergleichbar ist allenfalls das schon seit 1991 existierende, ebenfalls in New York angesiedelte, etwas sperrigere Projekt "The Thing" des deutschen Videokünstlers Wolfgang Staehle.
Was die "Rhizome"-Seite so bemerkenswert macht, ist ihre, gemessen an der rasanten Entwicklung des Internet, beachtliche historische Tiefenschärfe und ihre Verankerung in der "Szene", die das Projekt unterstützt, indem sie es mit (Gratis)-Beiträgen beliefert. Dafür ist den MitarbeiterInnen die Aufmerksamkeit eines spezifisch interessierten Publikums gewiss, und die ist in der Kommunikationsgesellschaft keinesfalls wertlos.
Die "Szene", das sind NetzkünstlerInnen, KuratorInnen für neue Medien, die in Amerika inzwischen auch in traditionellen Häusern ihren Platz gefunden haben, KritikerInnen, UniversitätslehrerInnen, WebdesignerInnen. Die internationale BeraterInnen-Liste von "Rhizome.org" liest sich wie ein Who's Who der Internet-Avantgarde. Namentlich zu den florierenden Medieninstituten von Berkeley und Boston hat "Rhizome" einen guten Draht, ebenfalls zu den Star-Webdesignern von "Razorfish".
Zum Archiv gehört eine "Artbase". Per Link vermittelt sie den Zugang zu mehr als siebzig Netzkunstwerken, die sorgfältig katalogisiert und verzettelt sind, darunter zahlreiche Klassiker des Genres. Des weiteren gibt es ein Textarchiv mit rund 1500 Texten zur Netz- und Medienkunst, die anderweitig nicht mehr oder nur schwer zugänglich sind. Aus dem Stichwortverzeichnis des Katalogs haben Tribe und sein Partner Alex Galloway das reizvolle Interface "StarryNight" gemacht. Seit kurzem gibt es zusätzlich die "Spirale", die das Textarchiv chronologisch erschliesst.
SubskribentInnen des kostenlosen "Rhizome Digest" erhalten wöchentlich von Alex Galloway edierte Informationen zu aktuellen Diskussionen, Hinweise auf Bücher, Vorabdrucke, neue Internetarbeiten oder auf Veranstaltungen, die Rhizome organisiert. Denn Tribe und seine vier MitarbeiterInnen, darunter die Kuratorin für Medienkunst Jennifer Crowe, haben schnell gemerkt, dass auch die virtuelle Welt besser zu vermitteln ist, wenn sie an eine Realität angebunden wird.
Für BenutzerInnen ist all dies gratis. "Rhizome.org" hat seine letztes Jahr noch prekäre finanzielle Situation erheblich verbessern können. Trendbewusste Unternehmen schmücken sich inzwischen gerne mit dem Status des "Supporters". Unten auf der Seite tauchen Bekannte aus der der Schweiz, "Parkett" und "Skim.com", mit ihren Werbekästchen auf - Anzeigen-Tauschgeschäfte, wie die zuvor fürs Guggenheim tätige Fundraiserin Mary Beth Smalley bemerkt. Dass Tribe sie als Entwicklungsleiterin angestellt hat, spricht Bände.
Das wichtigste Thema in den aktuellen Diskussionen der "Netzgemeinde" ist für ihn denn auch der Übergang von einer marginalen Kunstform, die auf Tauschwirtschaft und Gratisarbeit beruht, zu einer anerkannten Kunstbewegung, die auf breiter Ebene von etablierten Institutionen und Geldgebern akzeptiert wird. "Wie können wir auf möglichst produktive Art Museen, Galerien, Stiftungen und Unternehmen gewinnen, ohne Abstriche an unseren ursprünglichen Überzeugungen hinzunehmen?" Tribe ist nicht der einzige aus der frühen Netzgemeinde, der sich derzeit darüber den Kopf zerbricht.
Die Aufmerksamkeit, die "Rhizome" mit durchschnittlich 600.000 Besuchern pro Monat auf sich zieht, lässt Begehrlichkeiten entstehen. Haben Projekte wie "Rhizome" in einer rasant kommerzialisierten Internetlandschaft überhaupt Zukunft? "Zur Zeit empfinde ich die Dot.coms keineswegs als Bedrohung, sondern eher als Partner und Förderer", meint Tribe. Das einigende Band ist neben einer unerschütterlichen Technologiegläubigkeit Tribes Überzeugung, dass "Internetkunst heute die wichtigste Kunstform ist, die gerade erst in ihren Anfängen steckt".
Sicher wäre es unsinnig, ein Modell wie "Rhizome.org" direkt zu kopieren, zumal schliesslich auch Schweizer Netzkünstler ihre Projekte bei "Rhizome" anbinden könnten. Aber lernen lässt sich daraus einiges: dass es sinnvoll wäre, die kreative Eigeninitiative der Szene zu stärken und gleichzeitig ein Zentrum der Aufmerksamkeit im Netz zu schaffen, einen Knotenpunkt, der auch Laien und Newcomern einen qualifizierten Zugang zur Medienkunst erlaubt. An Bausteinen - von der "Encyclopédie des nouveaux médias" des Genfer "Centre pour l'image contemporaine" bis zum Basler Kulturserver "Xcult" - fehlt es auch in der Schweiz nicht.

Barbara Basting

www.rhizome.org
www.thing.net
www.sitemapping.ch/
www.xcult.org
www.centreimage.ch