Barbara Basting

Der unaufhaltsame Aufstieg der Arrangeure

Kuratoren gehören zur Schaltzentrale des Kunstzirkus. Doch ihre einstige Machtposition verändert sich.

Im Kunstbetrieb hat sich der freie, temporär oder dauerhaft an eine Institution gebundene Kurator in den letzten Jahrzehnten eine zentrale Position errungen. Polemisch zugespitzt könnte man sagen, dass er den Künstler zunehmend entmachtet, den traditionellen Konservator verdrängt und teilweise auch die Rolle des Kritikers übernommen hat, der neue Trends portiert. Der Kult um die Kuratoren kulminiert jeweils, wenn die Megaevents der Gegenwartskunst - "Westkunst", "Zeitgeist", "Zeitlos", um ein paar prominente Beispiele des vergangenen Jahrzehnts zu nennen -, die Documentas und Biennalen, ihren Weg durch die Medien antreten. Dann werden die Konzepte von Harald Szeemann, Jan Hoet, Jean Clair, Catherine David gerühmt oder kritisiert. Die Namen der auserwählten Künstler sind zunächst sekundär, auch wenn Galeristen, Sammlern, Kritikern die Entscheidungen der Kuratoren mit Argusaugen verfolgen.
Der Machtverlust der Künstler, ein auf schnell konsumierbare Erlebnisse und Ereignisse geeichtes Publikum und eine immer unübersichtlichere Kunstszene erklären gleichermassen den steilen Aufstieg der Ausstellungs-Impresarios. Während bis zum Ende der Avantgarden in den 60er Jahren die Künstler als starke Individuen oder in Gruppen auftraten, die in einem noch relativ überschaubaren Kunstbetrieb beträchtliche Ausstrahlung entwickeln konnten, ist inzwischen die Zahl der Künstler exponentiell angewachsen. Gleichzeitig hat sich der Kunstbetrieb internationalisiert, was die Auswahl nochmals vergrössert, während es gleichzeitig kein dominantes Zentrum, keine konsensfähige, prägende Strömung mehr gibt.
Anders als es der Argwohn konservativer Kritiker will, liegt dies nicht daran, dass die Künstler plötzlich an kreativer Anämie litten oder ihre Arbeiten nichts mehr taugten. Doch ihre Wahrnehmung durch die Gesellschaft hat sich grundlegend verändert. Seit dem Scheitern der utopieüberfrachteten Avantgarden sind die Erwartungen an die Kunst rapide gesunken. Niemand erhofft von ihr noch allen Ernstes massgebliche Einsichten und Impulse.
Sogar die Künstler scheinen sich darein zu schicken, dass sie die gesellschaftliche Strahlkraft, die ihre Vorgänger am Anfang der Moderne hatten, die beispielsweise ein Beuys noch hatte, kaum noch erreichen. Spektakuläre Gesten haben sich sowieso abgenützt. Kunst ist zwar nach wie vor ein hervorragender Seismograf für gesellschaftliche Zustände. Aber das setzt genaues Hinschauen und Vertrautheit mit den oft komplexen Codes voraus. Oft bleibt es bei einer Irritation für Insider und Experten. In einer solchen Situation sind Gesten der Vermittlung und der Zuordnung besonders gefragt.
Im Rückblick erstaunt es kaum, dass gerade das Ende der klassischen Avantgarden in den sechziger Jahren mit der wachsenden Entfaltung und Wichtigkeit kuratorischer Tätigkeiten zusammenfällt. Sie entwickelten sich anfangs in aufmüpfiger Dissidenz zu den etablierten Formen der akademisch geprägten Kunstvermittlung. Die Künstler stellten das Museum in Frage. Vife junge Kuratoren - wie Harald Szeemann in Bern oder Jean-Christophe Ammann in Luzern, auch Rudi Fuchs, Kasper König, Christos Joachimides - hefteten sich ihnen an die Fersen und nahmen ihre Impulse auf.
Sie traten als Pulsnehmer und Trendscouts auf, als wirbelige und innovative Macher. Sie vermittelten nicht, wie der klassische Konservator, einfach nur wissenschaftlich korrekt Kunst, sondern setzten aus einer hierarchisch und institutionell meist privilegierten Position heraus die von ihm aufgespürten, meist jungen Künstlern lustvoll in Szene - mit dem Erfolg, dass ihre eigene Person immer wichtiger wurde.
Harald Szeemann zum Beispiel, heute der Doyen des neuen Berufsstandes, konnte mit seinen epochalen Ausstellungen gerade deswegen Aufsehen erregen, weil er die damals gängigen Normen und Formen der Kunstpräsentation durchbrach, überraschende Querverbindungen zeigte und eine persönliche Handschrift entwickelte. Sein Modell machte Schule und läutete den Siegeszug der Arrangeure ein. Die bald darauf ausgerufene Postmoderne untermauerte die neuentdeckte Lust am thematischen Crossover, an der fantasievollen Inszenierung mit den passenden Theorien. Inzwischen hat sich die Methode selbst überholt. Ihre Crux ist das zunächst fruchtbare, mit der Zeit aber ermüdende, weil allzu beliebige Prinzip der vermeintlich originellen Kombinatorik. Dafür spricht auch die Renaissance wissenschaftlich fundierter monografischer Retrospektiven in jüngster Zeit.
Von der enormen Aufwertung der Rolle des Ausstellungsmachers profitieren heute die jüngeren Kuratorinnen und Kuratoren. An Vorgängern wie Szeemann kritisieren sie, zumindest hinter vorgehaltener Hand, die Monotonie der Konzepte, die Instrumentalisierung der Künstler als Requisiten, die Zementierung alter Top-Down-Hierarchieren. Sie versuchen neue Wege zu gehen. Für ihre Arbeit konstruieren sie lieber eine andere Genealogie. Die Vorgehensweise des omnipräsenten Jungstars Hans Ulrich Obrist - zusammen mit Künstlern neue, unkonventionelle Kommunikationsstrategien für die Kunst zu erfinden - erinnert noch am ehesten an Szeemanns Strategien. Doch gerade Obrist will die Geschichte des Kuratierens nicht als lineare Entwicklung von den 60er Jahren bis heute sehen. "Ich denke vielmehr, dass anfangs des 20. Jahrhunderts sehr dynamische, innovative Vermittlungsformen entwickelt wurden, die erst in den 60er Jahren wieder aufgegriffen wurden", meint er. Der Kurator müsse versuchen, eine Passerelle zwischen Künstler und Welt zu bauen. Das Bild stammt vom Kunstkritiker Félix Fénéon, der vor mehr als einem Jahrhundert den Impressionisten den Weg ins Herz der bürgerlichen Gesellschaft bahnte.
Allerdings hat dieser Anspruch heute einen etwas anderen Stellenwert als damals. Am Anfang der Moderne bedeutete er, dass den Künstlern der Brückenschlag zum Publikum noch nicht gelungen war. Heute suggeriert er eher, dass er ihnen nicht mehr gelingt. Ein Kurator wie Obrist versteht sich als Netzwerker im Geflecht der verschiedenen künstlerischen Communities, als Katalysator: "Viel mehr als der kreative Kurator interessiert mich die Art und Weise, wie Künstler(innen) mit dem Medium Ausstellung umgehen. Der Kurator ist dabei oftmals nur der Trigger, der Auslöser, oder in den Worten von Sarat Maharaj, der Enabler", sagt Obrist über seine Tätigkeit mit der für die Branche typischen Tiefstapler-Rhetorik, die die eigene Pole-Position schon aus Diplomatie den Künstlern gegenüber lieber verleugnet.
Dennoch ist neu, dass jüngere Kuratoren die eigene Rolle als Rädchen in einer durchkommerzialisierten Kunstmaschinerie, aber auch die wachsende Personalisierung ihrer Macht mit fast schon zynischem Scharfblick analysieren. Rein Wolfs, festangestellter Kurator am Migros-Museum für Gegenwartskunst in Zürich, sieht im Kuratorenkult einen Auswuchs der allgemeinen Tendenz zur Personalisierung in den Medien. Der Kunstbetrieb übernehme sie zusehends. "In der Kunst steht man sehr oft einem abstrakten Gegenstand gegenüber und hat keinen persönlichen Bezug. Also fängt man an, sie auf andere Weise zu personalisieren, durch Geschichten ums Kunstwerk herum, über die Institution oder über denjenigen, der fürs Programm zuständig ist."
Der Kurator agiert als Medium, als Interface, als derjenige, der "Kontexte schafft, in denen die Künstler neue Projekte umsetzen können". So beschreibt auch der auf neue Medien spezialisierte Simon Lamunière, der am Genfer "Centre pour l'image contemporaine" tätig ist und an der letzten Documenta die Webkunst betreut hat, seine Rolle. Aber Lamunière ist nicht nur Kurator, sondern selber Künstler und Lehrer - und damit ein Beispiel für die Hybridisierung, die in der Sparte inzwischen gar nicht mehr selten ist. Die Grenzen zwischen Künstlern und Vermittlern verfliessen - zumal auch die Künstler immer stärker über Ausstellungssituationen nachdenken. "Heute muss man besonders hybrid arbeiten - das ist eine Tatsache und keineswegs meine Erfindung ", erklärt Lamunière seine multiplen Funktionen.
Die Vorstellung vom Kurator als grossem Zampano zerstreut auch Claire Schnyder Lüdi, die als freie Kuratorin in Thun mit originellen Projekten aufwartete. Mit minimalem Budget, die Idee der Komplizenschaft mit jungen Künstlern, die eine Plattform ausserhalb des musealen Kontextes suchen, im Hinterkopf, ging es ihr darum, "Kräfte zu bündeln, die richtigen Leute zusammenzuführen". Die Karten neu aufmischen, darin sieht sie eine wichtige Aufgabe der freien Kuratoren, die mittlerweile ein fest etablierter Zweig im Kunstbetrieb seien, aber keine "Überfiguren" mehr.
Selbst die zählebige Idee, Ausstellungsmacher könnten Künstlerkarrieren begründen, sei heute völlig verfehlt, versichert Rein Wolfs. "Man kann eigentlich nur das mitmachen, was alle ein bisschen machen", meint er kokett. Es gehe bestenfalls darum, "früh dran zu sein bei Künstlern, bei denen man das Gefühl hat, dass sie es schaffen".
Künstlern wie Kuratoren bleibt letztlich nicht viel anderes übrig, als in einem Monopoly mitzuspielen, in dem vor allem potente Sammler oft diskreter, aber umso wirksamer den Ton angeben. Vom Aufbruchpathos am Ende der Sechzigerjahre, das die Pioniere des heutigen Ausstellungsbetriebs beflügelt hat, ist den jüngeren Kuratoren wenig geblieben. Niemand glaubt mehr wirklich an die Kraft oder gar Aura des Exzeptionellen, Schrägen, Unkonventionellen, das im Lunapark der Künste längst das gähnend Normale ist. Wenn sich Kuratorinnen und Kuratoren heute mit originellen, manchmal abgehobenen, kunterbunten oder forcierten Programmen gegenseitig zu überbieten scheinen, müssen sie, anders als ihre Vorgänger, der Gegenwartskunst nicht erst ein Forum schaffen. In der Ära der visuellen Übersättigung geht es eher darum, überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erregen, einen "hype" zu schaffen, wie es in der Szene heisst.
"Ein neuer Berufsstand hat sich herausgebildet, der immer wichtiger werden wird", schätzt Simon Lamunière die Lage ein. Uns definitiv und autoritativ mitzuteilen, woran wir mit der Kunst sind, verstehen die meisten Kuratoren aber nicht mehr als ihre Aufgabe. Eher geht es darum, die tastenden Suchbewegungen der Kunst zu bündeln und neue Umgangsweisen mit ihr auszuloten, Querverbindungen zu anderen Bereichen zu schaffen (derzeit etwa zu urbanistischen, kommunikationstheoretischen oder soziologischen Recherchen), diverse Ordnungsmodelle spielerisch auszuprobieren - immer in der Hoffnung, das eine oder andere erweise sich als wegweisend und fruchtbar.
Die Suche nach Informationen durch Surfen und Zappen und ihre gezielte Koordination beschreibt der Ökonom Daniel Cohen in seiner Analyse "Nos Temps Modernes" (Paris 1999) als eine der wichtigsten neuen Tätigkeiten der Gegenwart. Im Laboratorium der Kunst wird sie schon fleissig praktiziert.