Vater. Eine Trance. Ist eine Reise


Ansage

Das Stück *

Der Soundtrack zum Stück

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Vater. Eine Trance. Ist eine Reise

Ist eine Reise zur Frage selbst: Was ist die Frage nach dem Vater? Was heisst im Namen des Vaters? Wie wollen wir heissen und wie heissen wir? Was ist ein Vater und wo ist er in uns, die beim Hören nun selber suchen. Diese Reise zur Frage ist eine transmusikalische Unternehmung. Stimmen, Klänge, Beatbetten und Soundkleckse, Liedteile, Saxofonsoli, immer wieder Duette und Echoräume morphen zu Zwischengebilden, bleiben kurz als neue Figur stehen und lösen sich wieder auf. Familiäres, Verwandschaft, Blutsverwandschaft und mentale Intimität schwirren rauschhaft umeinander und stellen es her, das Feld der Frage. Und den Sog der kleinen Löcher, wo wir herkommen.

Verstorbenheit als Begabung
Ihre Hörspiele heißen „Anleitung fürs Blut“, „Blackentdecker“, „Can I change your life, please“, „Die Wurzel des freien Radicalen ist Herz“, „Schrei nicht Fliege“, „Übung im Ertrinken“ oder jüngst „Essen Werden“. Birgit Kempker verfügt über eine eigene Stimme in der Welt des Hörspiels, die zu allererst eine eigene Schreibe ist. Seit Jahren leitet sie den Textworkshop des Hörspielforums NRW. Ihre Schreibtechnik ist improvisierend-assoziativ und arbeitet mit Permutationen des Sprachmaterials. „Vater. Eine Trance. Ist eine Reise“ ist ein Hörspiel von Birgit Kempker, das in Zusammenhang steht mit ihrem multimedialen Film- und Buchprojekt „Repère“. Die Reise, die vielmehr eine Suche nach Vater, Großvater, Urgroßvater ist, bewegt sich durch reale und theoretische Räume. Es sind keine fixierbaren Figuren, die sich auf die Suche nach den Häusern der Vorfahren machen, sondern improvisierende Stimmfigurationen, die ihre Rollen wechseln können. Der ehemalige ARD-Journalist und Kriegsreporter Friedhelm Brebeck, dessen Name quasi onomatopoetisch für seine brüchig-rauhe Stimme steht, kann den Satz „Ich bin Birgit Kempker und dies ist mein Sohn Anatol“ ebenso glaubwürdig sagen wie die Autorin selbst. Irgendwann wird sie sich selbst begegnen auf ihrer Suche nach einer Bedeutung, die nicht vom Vater abgeleitet ist.

„Jeder rettet sich mit dem, was er kann, aus dem Schlamm der Gestaltlosigkeit, ganz ohne Form und Bedeutung zu sein“, ist das Credo ihrer künstlerischen Produktion, das fast beiläufig aus den Wortkaskaden ihres Textes aufscheint. Den Satz „Die Details überwuchern das Bild, wenn sie nicht gesehen werden“ kann man als paradoxe Rezeptionsanweisung lesen, ähnlich wie den widersprüchlichen Imperativ „Raus mit der Sprache“, der zugleich (Ent-)Äußerung und Negation verlangt. Brebeck kontert mit „Language is over“ und fragt sich, ob Beckett sein bzw. ihr Papa sei.

‘Don’t mess with the big guys‘, möchte man da antworten, denn auch ohne den Verweis auf den Meister des absurden Theaters funktioniert das Kempkersche Universum, das sich – wie beim Urknall – aus einer Asymmetrie, aus einem Ungleichgewicht heraus entwickelt. „Alles beginnt damit, dass etwas nicht da ist, wo es hingehört“, beschreibt sie die Geburt der/ihrer Welt aus dem Nichts.

Nicht nur Friedhelm Brebeck, auch ihr Sohn Anatol (der die Musik für das Hörspiel gemacht hat), ihr Verleger Urs Engeler und der Naturmystiker Sam Hess begleiten Birgit Kempker auf ihrer virtuellen Reise. Wobei Letzterer ihr eine Naturbegabung attestiert, nämlich „ihre eigene Verstorbenheit mit sich herumzutragen“. Dass Hess, der offenbar mit Totengeistern und Geistwesen kommuniziert, das Stück nicht zum Absturz bringt, ist Birgit Kempkers ironischer Skepsis zu verdanken: „Das Wort Matrix steht im Raum wie Hamlets Vater“ – so verknüpft sie Shakespeares berühmtesten Auftraggeber aus dem Jenseits mit populärer Weltwahrnehmungstheorie und nimmt damit dem esoterischen Geschwafel über andere Dimensionen des Lebens, „die dem Willen vertraut, dem Verstand aber unbekannt“ sind, die Spitze. Schließlich will sie „zur Vernunft kommen“ wie zu einem Ort, an dem sie ihren abwesenden Vater vermutet, und erhofft sich davon eine Rückkopplung zum Urknall, zur Genesis: „Wir suchen das Zeichen, das Teilchen, um es einzusetzen an die verwaiste Stelle.“

„Erkempkere dich selbst“, kommentiert an andere Stelle ihr Verleger die Maxime der Kempker-Familie und spekuliert, dass der Nachname Kempker wahrscheinlich von „umkrempeln“ kommt. Da hat er wahrscheinlich recht. Denn auch musikalisch krempelt Anatol Kempker alias Anatol Atonal die Soundebenen des Hörspiels immer wieder um und macht es zu einer „transmusikalischen Unternehmung“, in der Saxophon-Soli zu Duetten ‘gemorpht‘ werden, bevor sie in Echoräumen verhallen. „Immer wenn wir uns Gedanken machten, aßen wir Filme“, heißt es zu Anfang des Hörspiels. Vielleicht die richtige Rezeptionshaltung für Birgit Kempkers Werke.
04.02.11 – Jochen Meißner/FK