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Der Vater im römischen Recht

 

Vortrag von Thomas Jenny, lic. iur., im Rahmen der Ausstellung Vaterbild des Kaskadenkondensators

 

"Um das Europa von heute zu verstehen, muss man es als Erbe der antiken Welt begreifen - drei grosse Ströme machen es aus: die griechische Kultur, das römische Rechtsdenken und das Christentum."

 

Sehr geehrte Damen und Herren

 

I. Einleitung

 

Als einer der Mitorganisatoren und ausstellenden Künstler dieser interdisziplinären Vaterbildschau mit dem Anliegen an mich herantrat, zur Rolle des Vaters im römischen Recht zu referieren, reagierte ich mit Erstaunen. "Rasso", sagte ich zu ihm, denn Rasso Auberger, dessen Werke hier zu sehen sind, fragte mich an, "Rasso", sagte ich: ich bin zwar Jurist, aber kein Spezialist im römischen Recht; Rechtshistorie hat mich zwar während des Studiums beschäftigt, doch einen römisch-rechtlichen Vortrag zu halten, und dann noch über einen einzelnen Aspekt zu referieren - ja geht denn das?

 

Wie Sie sehen und hören, geht es. Ausschlaggebend waren verschiedene Gründe. Zum ersten ein äusserst pragmatischer Grund: ich betreibe seit letztem April eine Radiostation hier in der Region, einen Lokalsender mit Namen Radio X. Wie es ein derartiges Medium nun einmal mit sich bringt, ist auch meine Stimme auf der Radio X Frequenz - 94.5 - zu hören. Und da ich ein marketing-bewusster Mensch bin, durfte ich mir die Gelegenheit, Menschen mit meiner Stimme vertraut zu machen, einfach nicht entgehen lassen. Genausowenig wie ich die Chance missen wollte, als Vertreter eines sich auch als Kultursender definierenden Mediums Teil einer künstlerischen Aktion wie es diese Ausstellung ist, zu werden. In diesem Sinne dürfen Sie mich hier denn auch als Objekt der Inszenierung der Ausstellungsmacher sosehr wie als in ihr handelndes Subjekt verstehen.

 

Doch war dies nicht der einzige Grund, ich gebe es zu: Zum einen appellierte Rasso an jene Momente voller Begeisterung, in denen ich ihm von der andauernden Bedeutung, ja der Lebendigkeit sovieler unter der Herrschaft Roms entstandener Rechtssätze erzählte, dass ich Lust bekam, wieder in den Lehrbüchern und notfalls auch in den Quellen, den sogenannten Digesten, des römischen Rechts zu graben. Als einleitendes Beispiel meiner These, dass das römische Recht noch heute eine praktische Rolle spielt, mag der Satz, "pater est quem nuptiae demonstrant" dienen, ein Satz, der besagt, dass Vater ist, wen die Ehe als solchen ausweist: die entsprechende Formulierung des im dritten Jahhundert lebenden Paulus findet sich so gut im Bürgerlichen Gesetzbuch der BRD wie in Artikel 252 und 255 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches.

 

Um das Thema des Vaters im römischen Recht anzugehen, ist man dem Begriff des paterfamilias auf der Spur, welcher so zentral im römischen Familienrecht ist. Übersetzt bedeutet paterfamilias eigentlich einfach der Familienvater, so wie ich Vater von Kindern bin. Doch kommen ihm im römischen Recht derart spezifische Eigenschaften zu, dass ich weiterhin nur den lateinischen Begriff des paterfamilias verwende, wenn ich vom Vater im römischen Recht spreche. Manchem der hier Anwesenden mag der paterfamilias so oder so noch im Ohr klingen, aus dem Lateinunterricht als Beispiel einer untergegangenen Form des Genitivs.

 

Zurück zu den Gründen meines Referats: Nicht handeln liess ich mit mir, was die Herstellung persönlicher Vaterbezüge anbelangt: es möge der Hinweis genügen, dass mein Grossvater, mein Vater und auch mein Bruder Juristen sind bzw. waren; dass ich mich selbst zehn Jahre nach der Matura ­ nach universitären Ausflügen in die Ethnologie, in die Publizistikwissenschaft und einer kleinen Karriere in der Public Relations Branche ­ unausweichlich der Juispudenz als dem einzig möglich scheinenden stellen musste. Mit dieser Ahnenreihe ­ Grossvater, Vater, Sohn ­ nehme ich übrigens genau das auf, wofür der Vater im römischen Recht steht: die Tradierung über die männliche Seite der Familie, die Gewichtung des Patriarchalischen in der Vererbung, die familiäre und auch gesellschaftliche Vormachtstellung des Vaters überhaupt. Wer hier im Saal kennt nicht durch Männer begründete Berufsdynastien, und wer könnte unter Berufung auf "die Mutter und die Grossmutter waren schon..." solche spontan nennen?

 

Last but not least war es jedoch die Sprache, die mich zu den Rechtswissenschaften, zur Jurisprudenz führte: Recht definiert sich über das Wort und seine Auslegung, eine starke Begrifflichkeit ist ihm sosehr eigen wie eine Notwendigkeit der Schärfe des Ausdrucks. Das dies nach einigen Jahren PR und Werbung meiner Sprache nur gut tat, werden Sie mir gerne glauben. Im Aufbau des Jus-Studiums nimmt übrigens das römische Recht dieselbe Stellung ein, wie sie dem Latein in der humanistischen Ausbildung eingeräumt wird: ihr Verständnis wird als Schlüssel sowohl zu anderen Sprachen als auch als Grundlage logischen und praktischen Denkens überhaupt bezeichnet.

 

Mein Referat ist entsprechend meiner Ihnen kurz geschilderten Biographie denn auch kein juristisch-wissenschaftliches. Ich versuche, nach einer allgemeinen Darstellung des paterfamilias des römischen Rechts die Geschichte dieser grundlegenden Quelle unserer heutigen Ordnung kurz darzustellen, um dann eine allgemeine Positionierung der Bedeutung der römisch-rechtlichen Vaterrolle für unsere Zeit vorzunehmen.

 

II. Der pater familias

 

Was ist die Stellung eines Vaters, was ist überhaupt ein Vater im römischen Recht? Nun, der paterfamilias ist Oberhaupt einer Hausverbands, eier Kleinfamilie, deren Mitgliederseiner umfassenden Hausgewalt unterworfen sind. Die Hausgewalt wurde in älteren Zeiten manus, Hand genannt - und lebt sprachlich via dem althochdeutschen munt heute noch in den Begriffen Vormund, mündig oder Mündel weiter. Ihr waren die Ehefrau, die Kinder, die Hörigen und die Sklaven unterworfen. Sie umfasste das Recht auf Leben und Tod, wie es ein auf die 30er Jahre dieses Jahrhunderts zurückgehendes Lehrbuch knapp auf den Punkt zu bringt: "Der pater familias konnte nach Ermessen strafen, veräussern, töten. Die Gewaltunterworfenen hatten gegen ihn keinerlei Rechtsanspruch." Soweit die Kompetenz des pater.

 

Familia wurde weiter verstanden, als dies heute mit dem Ausdruck Familie verständlich gemacht werden kann. Zum einen hört jeder Lateiner im Wort familia den famulus, den Diener mit - gemeint war mit der Familie auch die gesamte Gesindschaft, die Sklaven inbegriffen, welche der Herrschaft eines einzelnen Mannes unterstanden. Erst später begann sich dies zu wandeln, als die Sklaven dem Eigentum und nicht mehr der manus des paterfamilias zugeteilt wurden. Zugleich wurde aber der lateinische Begriff für das Vermögen, pecunia - wir kennen noch heute "pekuniär" - als Synonym für die familia eingeführt, und meinte restlos allen Besitz und alle Macht, sei es über Menschen oder Sachen.

 

Bei der Gewaltunterwerfung der Ehefrau wurde eine kleine Ausnahme gewährt, die jedoch nicht primär ihrem Interesse, sondern dem der Familie diente, aus der sie stammte: eine manus-freie, eine gewalt-freie Ehe wurde dann ermöglicht, wenn eine Frau selbst nicht mehr unter der Gewalt eines paterfamilias stand, wenn sie sui iuris war, d.h. eigenen Rechts, selbständig. Dies bedeutete nichts anderes, als dass ihre Seitenverwandten nun erbberechtig waren. Gab sich nun eine Frau sui iuris in die manus eines Mannes, so verloren diese Seitenverwandten ihre Erbanwartschaft, da ihr gesamtes Vermögen automatisch auf den Mann überging - ein Zustand, den wohl noch heute manche begüterte Familie bei der Heirat einer vermögenden, sprich die Erbschaft angetreten habenden Frau in Rage bringt.

 

Nun, auch Rom kannte gewisse Beschränkungen dieser väterlichen Gewalt: doch werden diese über die längste Zeit nicht mit dem Gesetz, sondern mit Bezug auf die guten Sitten, den mores, geahndet: allzukrasses Verhalten des paterfamilias wurde als Verstoss gegen die Gottheit, als sakrales Vergehen geahndet, nicht als ein Verstoss gegen unter Menschen geschlossene Konventionen. Diese Denkweise erinnert mich durchaus an zeitgenössische Argumente der Gegner einer Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe erinnern. Eine solche verstosse zwar sicher gegen die guten Sitten, liege aber zusehr in der subjektiven Sphäre, als dass ein öffentlicher Verfolgungsanspruch bestünde.-

 

Die guten Sitten - dies nur als Zwischenbemerkung - gehören auch im Privatrecht von heute noch zu jenen entscheidenden unbestimmten Rechtsbegriffen, durch deren Füllung Richter festlegen was Recht ist. Beispielsweise in der Anwendung von Art. 20 des schweizerischen Obligationenrechtes, nachdem Verträge, welche gegen die guten Sitten verstossen, nichtig seien. Daraus lässt sich beispielsweise ableiten, dass der Freierlohn nicht gerichtlich durchsetzbar ist... Aber auch grundlegende Begriffe wie der gute Glauben, die bona fides, oder die Einrede der Arglistigkeit bei einem Geschäft, die exceptio doli, wurden eins zu eins in römischen Zeiten konzipiert.

 

Zurück zum Vater: Sanktionen für Verstösse gegen die guten Sitten waren durch den Zensor zu bestrafen. Dieser war in der Hauptsache für die Erstellung der Bürgerlisten zum Zwecke der Vermögensschätzung und damit der Steuererhebung, daneben aber eben auch für die Sittengerichtsbarkeit zuständig. Möglich waren Sanktionen wie eine öffentliche Missbilligung - vergleiche etwa das Ringen des amerikanischen Kongresses um eine Rüge des Verhaltens des amtierenden Präsidenten - oder eine Degradierung in der Klassenzugehörigkeit oder steuerliche Strafen. Aus heutigem Verständnis könnte man sagen, dass also Fragen der Ehre und des Vermögens durch Verstösse gegen die guten Sitten berührt wurden, nicht aber die Ahndung des kriminellen sprich menschen- und menschenrechts-verachtenden Verhaltens im Vordergrund stand.

 

Wer unterstand weiter der Hausgewalt des paterfamilias, seiner patria potestas, wie sie in der Zeit des beginnenden Kaisertums bis etwa 250 nach Christus hiess? Über wen durfte der paterfamilias, das ius vitae necisque, das Recht über Leben und Tod ausüben? Neben der Ehefrau sind es die Hauskinder, d.h. die in vollgültiger Ehe, in iustum matrimonium, gezeugten Kinder sowie deren Frauen. Hauskinder durfte der paterfamilias übrigens veräussern, sei mit einem ewigen Schicksal als Sklaven transtiberim, über den Fluss Roms hinweg, oder mit der Hoffnung auf Befreiung innerhalb der Stadtmauern Roms. Weiter waren es die angenommenen, nicht einer Ehe entsprungenen Kinder, die der Hausgewalt unterstanden. Die Annahme von Kindern spielte eine bedeutende Rolle in der Sicherung des Geschlechts, wurde Arrogation genannt - und war einzig den Männern vorbehalten, da diese allein das Geschlecht ausmachten. Diese Arrogation musste durch durch die Volksversammlung, geleitet vom Pontifex Maximus (einen solchen gibt es in Rom bis heute...) beschlossen werden . Erst später entstand die adoptio, welche äusserst kompliziert dem Kaufgeschäft des römischen Rechts, der sogenannten mancipatio, nachgebildet wurde: dreimal wurde der Sohn - es war zumeist einer, da patriarchalische Anliegen zu erfüllen waren - vom Vater verkauft, zweimal vom Käufer wieder entlassen, bis er endlich an Kindesstatt angenommen werden konnte. Begrifflich ist das Gegenstück dieses Kaufgeschäfts ein Wort, dem wir in den letzten Tagen, anlässlich der Wahl der ersten Frau zur Bundespräsidentin der Schweizerischen Eidgenossenschaft, immer wieder begegneten: es war vom Jahrhundert der Emanzipation die Rede, welches sich mit der Wahl von Ruth Dreifuss erfüllte. Im römischen Recht meint die emancipatio die Loslösung von der Gewalt des Vaters, die Erringung eines Status als homo sui iuris - eine Erscheinung, die erst auftrat, als sich die Bindung des Einzelnen an die Familie angesichts der gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklungen zu verändern begann, d.h. mit der stärkeren Ausdehnung des römischen Reiches.

 

Drittens unterstanden dem pater familias Freie, die sich in causa mancipii befanden, die also durch Rechtsgeschäft an ihn veräussert wurden, ohne dass sie als Kinder angenommen worden wären.

 

Keine all dieser Personen war in einem heutigen Verständnis handlungs- und geschäftsfähig - er konnte zwar Geschäfte tätigen, deren Erlös kam jedoch immer und einzig dem Vermögen des Vaters zugute. Ironischerweise wurde diesem Recht keine Pflicht zugesellt, wie es im Recht sonst üblich ist: das alte Zivilrecht sah keine Haftung des paterfamilias für Schulden der ihm Unterworfenen vor; begingen diese Delikte, so konnte er sich durch deren Auslieferung gültig befreien.

Nicht zur Familie gehörig sind die Sklaven: sie sind Eigentum des paterfamilias, reine Objekte ohne Aussicht auf Erlangung eines Status aus eigener Kraft als homo sui iuris aus eigener Kraft. Nicht patriarchalisch ist für einmal die Linie, durch welche man zum Sklaven geboren wurde: war die Mutter Sklavin, so sind es auch ihre Kinder. Immerhin wurden Sklaven in der Begrifflichkeit von reinen Immobilien differenziert, indem sie wie das Vieh als res moventes bezeichnet wurden.

 

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Alle Menschen ausser dem paterfamilias sind zu Zeiten der Herrschaft des römischen Rechts zwei Gewalten unterstellt: dem paterfamilias und dem Gesetz, wobei dieses nicht in die Machtsphäre des paterfamilias eingreifen konnte. Das Verständnis dieser Machtfülle und Autonomie eines Vaters gegenüber dem Gesetz muss übrigens zutiefst im Denken der Bevölkerung, welche die sieben Hügeln an der Tibermündung belebte, verwurzelt gewesen sein: So findet sich in der ältesten römischen Rechtsquelle, den Zwölf Tafeln aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert, kein Hinweis auf die Grundlage der patria potestas, sondern nur darauf, was sie umfasst. In den Worten der Aufklärung wäre so die patria potestas als Naturrecht aufzufassen.

 

Von all dieser Gewalt scheint heute nicht mehr viel übriggeblieben zu sein - doch liegen nur zehn Jahre zurück, da das Zivilgesetzbuch der Schweiz den Vater in aller Deutlichkeit als Oberhaupt der Familie bezeichnete - ich konnte vor kurzem die Verkäuferin eines Antiquariats hier in Basel nur unter Aufschlagen dieses Artikels davon überzeugen, dass sich der Verkauf veralteter Gesetzestexte konkret negativ auf das Verhalten von Menschen auswirken könne.-

 

Dass aber vieles in der Organisation unserer Gesellschaft nach wie vor dem im römischen Recht so kraftvoll ausgestatteten Vaterbild entspricht, versuche ich zum Ende meiner Ausführungen zu belegen.

 

 

III. Das römische Rechtssystem und seine Bedeutung für die Neuzeit

 

Gestatten Sie mir nun, ganz kurz die Entwicklung des römischen Rechts und den Weg, den es in die Gegenwart gefunden hat, zu beschreiben. Zum einen glaube ich damit den Gesamtzusammenhang der römisch-rechtlichen Vaterbetrachtungen liefern zu können, zum andern erlaubt es mir, die eingangs aufgestellte These, das römische Recht wirke noch heute nach, zu untermauern.

Beim Durchsehen der Bücher zur römischen Rechtsgeschichte wiederholt sich immer wieder die Nennung jener Rechtsgebiete, die bis heute vom Inhalt, noch stärker aber von der Methodik des römischen Rechts geprägt werden: Allen voran ist es der Begriff des Eigentums als absolutes Recht, als unbeschränktes subjektives Recht, der bis heute seine schrankenlose Bedeutung behielt. Mit diesem Eigentumsverständnis, hatte gerade das germanische Recht mit seinen Kollektivvorstellungen zu ringen, es setzte sich - trotz Kompromissformulierungen wie im deutschen Grundgesetz, wo an die soziale Verantwortung, die aus Eigentum erwächst, vollumfänglich durch. Der Schutz des Eigentums ist hehrste staatliche Aufgabe - so wie es die Abwehr seiner grössten Bedrohung, des Gespensts des Kommunismus war.

 

Aber auch die Grundlagen der Begründungsmöglichkeiten einer Verpflichtung folgen bis heute der im römischen Recht entwickelten Struktur: Ich verpflichte mich entweder aus Vertrag, aus Delikt, aus Bereicherung oder aus Geschäftsführung. Im Erbrecht stammen die Verfügungsfreiheit bei der Zuteilung der Erbschaft durch den Erblasser aus dem römischen Recht - diese wurde in germanisch mit-inspirierten Rechtskreisen aber durch die Schaffung der Pflichtteile eingeschränkt. Weiter ist es der Gedanke der Gesamtnachfolge: Alle Erben werden mit dem Tod zugleich und gleichberechtigt Eigentümer der Erbschaft; diesem Vorgang hat die Teilung mit der Zuweisung indvidueller Rechte zu folgen. Und es sind die bereits erwähnten Generalklauseln wie "gute Sitten" und "Treu und Glauben", welche auf die Juristen der Römerzeit zurückzuführen sind. Dass ein gesellschaftliches Phänomen wie es das Recht darstellt über so lange Zeit, d.h. über Jahrtausende Gültigkeit bewahrt muss seine Gründe haben.

 

Oft genannt wird dabei der Umstand, dass mit dem römischen Recht ein Weltreich aufgebaut und verwaltet, ein Interessensausgleich unter hunderten von Völkern gefunden, allgemein akzeptable Regeln für den Handel unter den Menschen aufgestellt werden mussten, die Gültigkeit weit über die ewige Stadt erheischten. Dies gelang Rom zweifellos - noch heute gibt es, wenn auch nur in sehr geringer Zahl, Wissenschafter, die auf eine Wiedereinführung des römischen Rechts hoffen - geagt werden kann sicher, dass die Europäische Union sowohl in Grösse als auch in Ordnung dem römischen Reich hinterherhinkt...

Ein zweiter Grund liegt in der Praktikabilität des römischen Rechtes: es ist kasuistisch aufgebaut - und schlägt damit eine Verbindung zum ansonsten wenig römisch-rechtlich beeinflussten angelsächsischen Rechtssystem - und bietet gleichzeitig Methoden der Herleitung von Entscheidungen, die eine Verallgemeinerung der im Einzelfall hergeleiteten Erkenntnis ermöglichen.

Der dritte Grund ist der simpelste, und dennoch der entscheidende: das römische Recht traf in seiner ganzen Geschichte auf kein Rechtssystem, das ihm überlegen gewesen wäre, sei es innerhalb seines Systems, sei es im Rahmen der Expansion des römischen Reichs. So verstand es die römische Rechtswissenschaft, sich allen Veränderungen Roms anzupassen, ohne dabei seine Identität zu verlieren: von der Gründungszeit Roms mit seinen ersten Königen im achten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung über die Republik mit ihrem klug austarierten Mächtesystem zweier parallel regiender Konsuln - in diese Periode fallen auch die erwähnten Zwölf Tafeln als älteste gesicherte Quelle - und die Zeit des Prinzipats, des Kaisertums hin zur Spaltung und schliesslichen Untergang des weströmischen Teils des Reichs 476 nach Christus. In dieser Zeit wuchs Rom vom etruskisch beherrschten Dorf zur wichtigsten Stadt für Europa, den Mittelmeerraum und Vorderasien heran - sicherlich dank seiner militärischen Gewalt, sicherlich dank seines Drangs nach Handel, sicherlich aber auch, weil es die Staatsordnung im innern wie nach aussen meisterhaft beherrschte.

 

Und das römische Recht überlebte auch seine Schöpfer: als das Reich zusammenbrach, wurde es als gemeines Recht in weiten Teilen der ehemaligen Provinzen weitergepflegt; als Ergänzung der lokalen Rechtsvorstellungen, Sitten und Gebräuche. Oft vermochte es aber dank seiner Methodik auch dieses zu verdrängen: die auf seiner Grundlage gezogenen Schlüsse erwiesen sich oft als die besseren, sprich die gerechteren, einleuchtenderen. So behielten römische Rechtssätze in Griechenland und der Türkei, aber auch in Südafrika bis weit in unser Jahrhundert hinein direkte Gültigkeit, ohne sich, wie das jedes Recht eigentlich tun müsste, dem Laufe der Zeit zu unterwerfen.

 

Entscheidende Momente für das Weiterleben des römischen Rechts ereigneten sich aber in der Distanz eines Jahrtausends: Im 6. Jahrhundert war der oströmische Kaiser Justinian vom Gedanken beseelt, das römische Reich in seiner alten Grösse wiederaufleben zu lassen. Neben der Wiederherstellung der Reichseinheit und der Schaffung der Glaubenseinheit stand dabei die Rechtseinheit im Vordergrund (womit bereits die Nationalstaatsformel des 19. Jahrhunderts, Ein Volk-eine Sprache-ein Recht anklingt). Von seine Plänen blieb nicht viel, ausser die Sammelwerke dessen, was das römische Recht über die Jahrhunderte an dauerhaftem geschaffen hatte: der Codex Iustinianus, die Sammlung der kaiserlichen Gesetze; die Digesten als Sammlung des Juristenrechts - 40 Autoren verteilt auf 50 Büchern, deren Einteilung noch heute manches Zivilrecht folgt - , und schliesslich die Institutiones, welche den Rechtsunterricht regelten. Über tausend Jahre später fasste der holländische Aufklärer Dionysius Gothofredus diese drei Werke unter dem Titel zusammen, der als allgemein bekannt gelten darf: das corpus iuris civilis, und machte es zu einer der Grundlagen der Aufklärung und der Modernisierung der Gesellschaft.

 

Dazwischen lag die Zeit der Rezeption: der Wiederaufnahme des römischen Rechts in seiner ursprünglichen Form, dargestellt in den Digesten, speziell durch italienische - Bologna sei genannt - und spanische Universitäten ab dem Jahre 1000. Von ihnen aus verbreitete sich das römische Recht in seiner reinen Form in vom römischen Vulgarrecht bereits berührten Kontinentaleuropa erneut. Auf diesen Grundlagen, Rezeption und Aufklärung mündete es in die ersten Gesetzessammlungen, in die grossen Kodifikationen Privatrechts im 19. Jahrhunderts: das Naturrechtsbuch par excellence, der unter Anweisung Napoleons 1804 entstandene Code civil sosehr wie das vom grossen und doch unerbittlichen Herzen Maria Theresias inspirierte Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch Österreichs als auch das deutsche BGB und das schweizerische ZGB und OR weisen beträchtliche Anteile römischen Rechts auf.

 

Doch gilt für den römisch-rechtlichen Inhalt all dieser Werke, dass sie sich vornehmlich auf das Vertragswesen und das Sachenrecht bezogen, nicht jedoch auf das Familienrecht, Tei dessen der Vater als Thema dieser Ausführungen ist. Das Familienrecht wurde durch die Kirche geprägt, und war bis im letzten Jahrhundert auch von dieser mit allen Mitteln verteidigte Domäne. Dennoch behaupte ich, dass sich die Institution des pater familias trotz aller offensichtlicher Veränderungen - kaum ein Staat würde einem Familienvater heute den Entscheid über Leben und Tod seiner Angehörigen überlassen - in den Grundzügen bis heute erhalten hat - so wie es das schweizerische Zivilgesetzbuch noch bis 1988 festhielt: Der Vater ist das Oberhaupt der Familie, dem die Bestimmung der ehelichen Wohnung und grundsätzlich der Stichentscheid bei Streitfragen obliegen. Begründet liegt dies meiner Meinung nach nicht zuletzt in dem Umstand, dass sich die Kirche die Strukturen Roms einverleibt hat, um die von ihr angestrebte Weltgeltung zu erlangen. Bereits erwähnt habe ich den Pontifex maximus, den Titel des römischen Hohepriesters, mit dem der Papst sich bis heute schmückt.

 

IV. Der kulturelle Aspekt des römisch-rechtlichen Vaterbildes

 

Der Familienverband der Römer präsentiert sich monokratisch organisiert: Die Herrschaft geht vom einem einzelnen aus, der unanfechtbar an der Spitze steht. Dieses monokratische Denken prägte nicht nur Umgang und Beziehung zwischen den Geschlechtern und den Generationen - sondern auch die Ausgestaltung des Staates. Der Aufbau des Staates als Monokratie, als Pyramide mit Weisungsrecht von oben nach unten, ist Spiegelbild der Macht des paterfamilias. Wenn man die gegenwärtigen Diskussionen um die Reform der Staatsleitung der Schweiz und dem in ihnen oft gehörten Ruf nach der Schaffung eines starken Präsidentenamtes lauscht, so gewinnt man nicht unbedingt der Eindruck, dieses Denken hätte sich durch die Staatsform der Demokratie verflüchtigt. Der römische Hausverband, die Organisation der römischen Kleinfamilie ist im Kern das Abbild unseres obrigkeitlich organisierten Staatsgebildes.

 

Der zweite starke Wesenszug der Stellung des Vaters im römischen Recht ist die Betonung der patriarchalischen Linie, welche sich bis heute allgemein hielt: sei es im Namensrecht, sei es aber auch allgemein im Verständnis einer Kontinuität über die Zeiten hinweg, welche sich über die väterliche Linie ausdrückt. Dass sich mein Familienname auf einen Beizer in Langenbruck auf dem Hauenstein, irgendwann am Ende des 15 .Jahrhunderts zurückführen lässt, sagt über mich eigentlich gar nichts aus, repräsentiert doch dieser Ahne nur einen winzigen Bruchteil meiner Vorfahren. Und es fehlt dieser Annahme eines Vorfahrens eigentlich jede stoffliche, jede biologische Grundlage: Es ist eine Herleitung aus dem Satz, den ich zu Anfang als Beispiel noch lebenden römisch-rechtlichen Gedankenguts gebracht habe: pater est quem nuptiae demonstrant. Der erste Teil dieses Satzes lautet: mater semper est certa - die Abstammung von der Mutter ist gesichert, diese vom Vater nicht.

Im Umstand, diese physische Tatsache zu ignorieren, der Natur eine juristische Fiktion der Abstammung entgegenzustellen, liegt eine grundlegende kulturelle Entscheidung, welche das römische Recht und unsere gegenwärtige Gesellschaftordnung prägt: die Entscheidung darüber, welchem Prinzip - dem männlichen oder dem weiblichen in der Gesellschaft der Vorzug gegeben wird. Es ist ein Vorgang, den der Basler Rechtshistoriker und Begründer der vergleichenden Rechtswissenschaft, Johann Jakob Bachofen vor über hundert Jahren konkret in der Auseinandersetzung zwischen dem Recht Aegyptens und dem des römischen Reich dargestellt hat: "Das System der Paternität", schreibt er in seinem Mutterrecht, "erhält nur aus dem Gegensatz der Gynaikokratie (der Frauenherrschaft), die Entwicklung des römischen Familienrechts nur aus dem steten Kampf beider Gesichtspunkte ihr volles Verständnis und ihre richtige Stellung zu der Geschichte der Kultur überhaupt."

Was will ich damit sagen, da es hier weder um eine Darstellung des Mutterrechts geht noch auf die Thesen Bachofens eingegangen werden kann?

 

Zugrunde liegt eine ethnologische Betrachtungsweise des Rechts, indem dieses primär Verhalten steuert. Und es ist ebenfalls eine ethnologische, wenn ich Kultur als Gesamtheit menschlichen Verhaltens und Ausdruck definiere.

 

Das Patriarchat, die Ausgestaltung der Rolle des Mannes als Herrscher über andere Menschen, von dem alle Macht ausgeht, die Ausgestaltung des Staates dem Vorbild der monokratisch organiserten Familie folgend, ist letztlich kein Muss, sondern Entscheidung der Menschen - der paterfamilias mit seinem Recht über Leben und Tod lebt zwar, und ist Träger unserer Kultur, aber keineswegs notwendigerweise einizge Möglichkeit der Organisation einer Gesellschaft, unserer Gesellschaft.-

 

Aber: das Patriarchat ist Ausdruck eben unserer abendländischen Kultur, welche sich, wie eingangs bemerkt und hoffentlich im Laufe meiner Ausführungen belegt so stark vom römischen Recht beeinflussen liess. Die Aufnahme der Struktur des römischen Rechts durch das Christentum besiegelte den Bruch mit den Vorstellungen des Orients - das Judentum, aus dem es hervorging weist nach wie vor starke matriarchalische Züge auf - und schuf entscheidend jene Kultur mit, welchem der Vaterauseinandersetzung noch immer zentrale Bedeutung gibt - so wie es diese Ausstellung hier tut.

 

Aber die Wahl des Vaterbildes bleibt, weil kultur-abhängig, für den einzelnen frei.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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