Einführung: Zweiter Vater
 

 

Als mein Vater 1969 im Alter von einundziebzig Jahren starb war ich zehn Jahre alt.

Damit sind zwei wichtige Dinge gesagt:

1. Ich hatte einen alten Vater der 1898 geboren wurde.

2. Die tatsächlichen Erfahrungen, die ich mit meinem Vater machen konnte beschränken sich auf einen kurzen Zeitraum.

 

Wenn ich von Erinnerungen und Gefühlen gegenüber meinem Vater ausgehe habe ich sozusagen einen kindlichen Blick. Weil dies aber schon über dreissig Jahre zurückliegt, ist dieser "kindliche" Blick einem "historischen" gewichen.

Die Geschichte meines Vaters sehe ich im Kontext der Zeit, seiner Familiengeschichte und der Geschichte seiner (und meiner) Ahnen.

In dieser langen Kette von Lebensgeschichten (Der Stammbaum der Familie führt bis ins 16. Jahrhundert zurück) scheinen mein Vater und ich wieder zusammenzurücken.

 


 

Am Anfang steht dieses Ahnenbild.

Es zeigt die Familie Rikli und wurde 1866 am Tag der Bestattung meines Ur-Urgrossvaters Abraham Friedrich Rikli aufgenommen.

Er hatte 11 Söhne und Töchter.

 

 

Abrahm Friedrich verkörperte den ehrbaren Bürgertypus eines wohlsituierten Edelmannes. In allem Tun und Lassen steckte das Prinzip der Standesgerechtigkeit, der standesgemässen Wahl des Ehepartners, möglichst mit geschäftlichen Perspektiven im Hintergrund und der Bewährung im Bürgerstand, einschliesslich der dazugehörigen Ämter und Ehrungen....

....Im Hause Rikli herrschten patriarchalische Sitten. Zwischen dem Schicklichen und dem Untunlichen bestand ein markanter Trennstrich.....

 

aus: Fred Ammann, "Arnold Rikli, der Begrüder des Kurortes Veldes, des heutigen Bled" NZZ, 1984

 


 

Der jüngste Sohn von Abraham Friedrich ist mein Urgrossvater.

 

 

Er hatte vier Kinder, sein ältester Sohn ist mein Grossvater. Er wurde 1868 geboren und sagt über seinen Vater in seinen Aufzeichnungen:

.....Mama nahm mich wohl oft in Schutz, aber ich hatte vor Papa eigentliche Angst. Bei Grossmama und Onkel Gottfried fand ich für mein liebebedürftiges Herz Ersatz, aber es ist möglich, dass dies wiederum verstimmend auf Papa zurückgewirkt hat, was mir seiner Zeit nicht klar war.

Oft quälte ich mich innerlich über die Ursache dieses Zerwürfnisses; ich verlor mein Selbstvertrauen und fragte mich, ob ich wirklich ein solcher Schlingel sei......

 


Einschub:

 

 

 

 

Klein-K. blickte unter den Tisch, auf seine Füsse. Die waren ziemlich klein, ziemlich grün und nicht sehr sauber. Gegen die Füsse seines Vater konnte man seine nur mickrig nennen.

"Es wird Zeit, dass du anfängst zu arbeiten und selbst für dich sorgst", schimpfte der Vater weiter.

"Deine Faulheit stinkt zum Himmel, mein Sohn. Als ich so alt war wie du, habe ich meinen Eltern nicht mehr auf der Tasche gelegen, das kannst Du mir glauben."

"Aber Papa..."

"Still, keine Widerrede. Ich habe es nie gewagt, meinem Vater zu widersprechen............."

 

Aus: Die wundersame Reise des kleinen Kröterichs von Miriam Pressler /

Yaakov Shabtai mit Ilust. von W. Erlbruch

 


 

 

Meine 91-Jährige Tante sagt heute über ihren Vater:

 

...."Mein Vater war in seinen Erziehungsgrundsätzen sehr streng. Ich erinnere mich nicht, dass ich eine emotionale Bindung an ihn hatte. Im Sommer sahen wir in selten,da war er meistens mit den Studenten auf Exkursionen unterwegs. In meinen Jugendjahren als ich einen sehr eigenwilligen Weg einschlug, auch politisch, wurde zwar heftig diskutiert aber vermutlich hat er mich damals nicht ernst genommen. Als ihm dann später politisch die Augen aufgingen, war das sehr schmerzhaft für ihn.

Merkwürdigerweise scheint sich im Alter alles umzudrehen. Heute fühle ich mich ihm sehr verbunden.

Ich habe grosse Achtung vor seiner Klugheit und dem, was er in seinem Leben geleistet hat.

 


 

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