D i e   S ü s s e

 
Es ist noch still auf der Straße, wenn sich die Süße mit einem milden Lächeln in den Mundwinkeln im weißen Satin räkelt. Ihre Augen sind noch geschlossen und ihr Gesicht verliert sich in den hellen Kissen, während sie zurückgleitet in ihren Schlummertraum.
Bild um Bild erhascht sie sich in dieser Welt, aus der sie von neuem auftaucht in den Morgen, betrunken von dieser anderen Geschichte, die doch die ihre ist.

Ihre Lippen formen sich zu einem rosaroten O. Sie gähnt, und eine Träne löst sich. Sie reibt sich die Augen und gähnt von neuem, und eine zweite Träne rollt ihr über die Wange.
Sie liegt und gähnt und lächelt.
Ihre Hand schlüpft unter dem Duvet hervor, die feinen Härchen auf ihrem Arm erheben sich auf feinen Hügelchen und ihre Hand gleitet mit Buch zurück an die Wärme.
Sie liegt und liest und lächelt.
Die Süße bleibt gerne liegen, aber sie wird nicht durch Gravitation ins Bett gedrückt; sie liegt mit Leichtigkeit, fast schwebend.

Irgendwann schlüpft sie aus dem Bett, sitzt für ein Weilchen, weil es ihr gefällt, steht dann auf, hüllt sich in ihr Mäntelchen und setzt sich mit ihrer Lieblingslektüre auf den Thron. Später nimmt sie ein Bad und versinkt, immer noch in ihre Lieblingslektüre vertieft, in weißem Schaum.
Erfüllt von der Wärme des Bades und dem bittersüßen Verlauf der gelesenen Geschichte, hüllt sie ihren duftenden Körper wieder in ihr Mäntelchen, schmiegt sich mit einer Tasse voll heißer Schokolade an die Lehne ihres Sessels und blinzelt gedankenversunken ins Leere. Ihr Leben ist ein Schlaraffenland in dem sie sich schwebend zerstreut und pflückt, was sie braucht.

Ein fernes Murmeln holt sie aus ihren weitausschweifenden Träumereien in das helle Zimmer zurück. Die Türe öffnet sich weit und in freudiger Überraschung fliegt die Süße auf ihre Besucher zu und küßt sie herzlich zur Begrüßung. Zusammen setzen sie sich in die warme Küche und verwöhnen sich mit Schleckereien.
Sie sitzen und schlemmern und schwärmen.
In schwebender Aufmerksamkeit umsorgt die Süße ihre Besucher und hüllt ihre Gemüter in zuckrige Watte. Die Zeit fliegt und der Aufbruch drängt sich auf. Umschlingt man die Süße zum Abschied in warmer Zuneigung, verklebt man sich in ihrer Umarmung. Nach vielen, lieben Worten unter dem Mistelzweig lösen sich die Besucher endlich, und ihre Stimmen verlieren sich allmählich in der Ferne.

Wieder alleine setzt sich die Süße an den verlassenen Küchentisch und nascht von den üppigen Resten des gemeinsamen Essens. Sie träumt noch ein Weilchen von dem netten Besuch, schweift weiter in ihren Träumen, bis sie übervoll mit Eindrücken nach Papier und Bleistift wühlt, sich wieder in ihren Lieblingssessel kuschelt und einen langen, lieben Brief schreibt.