Giorgio Sadotti
* 1955, lebt in London

Die Arbeiten von Giorgio Sadotti basieren auf einem interaktiven Kunstverständnis. Wärend der Vorbereitung seiner Ausstellung BE ME in London (Interim Art, 8. September – 12. Oktober 1996) forderte der britische Konzeptkünstler seinen Freundes- und Bekanntenkreis auf, an seiner Stelle in der Galerie aufzutreten. Einige spielten ihn, andere nutzten die Gelegenheit, ihre eigenen Werke auszustellen. In einem im November 1996 in der Zeitschrift Art Monthly erschienenen Artikel erinnert der Künstler daran, dass es für wohlhabende Leute nicht aussergewöhnlich ist, andere (Sekretäre, Fahrer, Kindermädchen, usw.) dafür zu bezahlen, sie selbst zu sein. Giorgio Sadotti befragt Identität auch in seinen seither entstandenen Videoarbeiten. Er las über einen längeren Zeitraum verschiedenen Personen aus Büchern und Zeitungen vor und beobachtete mit der Kamera den Gesichtsausdruck dieser Personen, ohne dabei den Ton mit aufzuzeichnen. Diese stummen Bänder zeigen Mimik und Verhalten ihm meistens unbekannter Menschen, während er ihnen Texte vorliest, die das Publikum in der Ausstellung nicht zu hören bekommt. Als Sadotti vor einigen Jahren nach New York reiste, unter der selbst auferlegten Bedingung, während der gesamten Reisedauer kein Wort zu sprechen, entstand eine Audioarbeit. Er trug unter seiner Kleidung versteckt ein Aufnahmegerät, das die an ihn gerichteten und von ihm nicht erwiderten Worte dokumentierte. Sadotti verschickte nach seiner Reise eine einfache, weisse Karte im Format einer Visitenkarte mit dem Wortlaut: «Went to New York didn’t say a word».

Giorgio Sadotti liess für seine Aktion in Amden am 6. Dezember 2008 ebenfalls eine Karte drucken. Der handschriftliche, gedruckte Text auf der Karte lautet: «THIS IS MORE THAN YOU KNOW». Eine dieser Karten nagelte er auf die Holztüre des Ausstellungsraums in Amden, die restlichen Exemplare der Auflage von 1'000 Stück werden seither je zur Hälfte in Basel und London aufbewahrt. Obschon die Karte über den Winter hinweg hängen blieb, nahm die Aktion nicht die Form einer Ausstellung an. Es wurden weder Einladungen versandt, noch ist in anderer Form auf die Aktion hingewiesen worden. Die Karte wurde nur von Passanten gelesen, die sie auf ihrer Wanderung zufälligerweise wahrnahmen. Es ist diese Art von unbeabsichtigter und nicht vorhersehbarer Begegnung, die Sadotti in seinem künstlerischen Schaffen interessiert.

Text: Roman Kurzmeyer, 2010