Erik Steinbrecher
* 1963, lebt in Berlin

1000 industriell hergestellte Buletten aus einem Berliner Supermarkt hingen unter dem Dach der Scheune. In der kalten Winterluft trockneten die Buletten langsam aus, nach der Ausstellung wurden sie auf der Wiese vor der Scheune verbrannt. Wie betrachtet man eine Installation aus Berliner Buletten und einer in Aluminium gegossenen Doppelbaguette? Wahrscheinlich mit Unbehagen und Irritation. Das Betrachten, das Berühren und die Zubereitung von Fleisch in der Küche gehören zwar zu den alltäglichen, nicht weiter erwähnenswerten Erfahrungen, Buletten in einer Ausstellung dagegen sind ungewöhnlich und erklärungsbedürftig. Diese Verunsicherung, der sich beim Aufbau dieser Ausstellung selbst der Künstler nicht entziehen konnte, und die Fragen, welche sich daraus ableiten lassen, sind ein wesentlicher Bestandteil der für diesen Ort geschaffenen Arbeit.

Erik Steinbrecher ist Architekt und Künstler. Seit kurzer Zeit verwendet er für seine plastischen Arbeiten auch organische Materialien. Lebensmittel (Früchte, Gemüse, Würste, Backwaren) bilden das Ausgangsmaterial für diese Werke. Steinbrecher suchte beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Bäcker, bei dem er täglich einkauft. Für die Gussmodelle seiner Plastiken verwendet er Brote, die der Bäcker für diesen Zweck formt. Die konzeptuelle Leistung des Künstlers und die handwerklichen Fertigkeiten von Bäcker und Giesser gehen hier Hand in Hand. Schon die früheren Arbeiten Steinbrechers richten die Aufmerksamkeit auf das Vorgefertigte. Sie thematisieren beispielsweise die industriell hergestellten Bauteile aus dem Baumarkt, einfache Module billiger Fertigarchitektur, die längst nicht mehr nur von Heimwerkern verwendet werden. Vorgefertigte Bauteile prägen heute die Ortsbilder in den Agglomerationen.

Einzelne Elemente aus dem Fundus der anonymen Gestaltung untersucht er auf die Verwendbarkeit innerhalb seines plastischen Schaffens. Sie bilden den Ausgangspunkt für den Entwurfsprozess mit dem Ziel einer spezifischen Werkvorstellung, die anschliessend in enger Zusammenarbeit mit spezialisierten Handwerkern in ausgewählten Materialien und technisch perfekt realisiert werden kann. Er verwendet die Elemente somit nicht als Ready-made, sondern er reproduziert diese für seine Bedürfnisse. Immer wieder trifft man im fotografischen und plastischen Schaffen von Steinbrecher auf den Zaun, sei es in der eigentlichen Funktion als Markierung einer Grenze im Aussenraum, als Bauteil für Objekte oder auch als autonome Skulptur voll leiser Ironie. In seinen Fotografien zeigt Steinbrecher witzige, absurde und poetische Situationen, auf die er unterwegs trifft, und die er abbildet, als ob es sich um künstlerische Interventionen handeln würde. Moderne und falsche Idylle gehen dabei Hand in Hand. Wie lassen sich echt und falsch unterscheiden und wie bewerten? Was ist authentisch? Das sind auch Fragen, die Steinbrecher mit seiner Arbeit in Amden aufwirft.

Die Buletten bildeten eine Vertikale, eine Horizontale und eine Diagonale im Raum. Dieser Dreiklang nahm die architektonische Ordnung der Scheune auf und zeigte die Konstruktion. Von einem opulenten Dekor ist zu sprechen, das die Betrachter auf Distanz hielt. Anziehung und Abstossung spielen ein merkwürdiges Spiel. An der Decke im darunterliegenden Stall hingen die Brote, die der Künstler in Aluminium giessen liess. Die Installation in Amden wurde für eine Scheune geschaffen, die über einen langen Zeitraum, während vieler Generationen, und bis vor wenigen Jahren für die traditionelle Berglandwirtschaft genutzt wurde. Im kleinen, engen Stall wurden Rinder und Kühe gehalten, die im Herbst auf den umliegenden Weiden grasten und im Winter mit dem Heu gefüttert wurden, das aus der näheren Umgebung des Gadens in Handarbeit eingebracht wurde. Die Spuren dieser einfachen, unsentimentalen Haltung und Nutzung des Tieres sind noch überall sichtbar, spürbar und riechbar. Die Buletten waren vor diesem Hintergrund ausgestellt, also nicht künstlerisch dargestellt. Man denkt unwillkürlich an eine Opferhandlung, an einen kultischen Zusammenhang.

Die Installation thematisierte das Rohe, das Ungeschützte, das Elementare dieser Situation und die relative Nähe zu den Naturkräften. Kontrovers ist die Arbeit wegen ihrer Materialität. Wären die Buletten ebenfalls wie das Brot im Ausbrennverfahren in Aluminium gegossen worden, wäre die ästhetische Erfahrung eine andere. Man kann und soll die Buletten aber auch anders sehen, denn eigentlich gehört dieses billige, weltweit in grossen Mengen konsumierte Fleischfabrikat aus dem Supermarkt mit seiner unverwechselbaren, modellierten Form ebenfalls und in jeder Hinsicht zu demselben Fundus der anonymen Gestaltung wie die Bauteile aus dem Baumarkt. Das Fleisch und das Brot, aus dem die Buletten hergestellt wurden, stammten nicht aus bäuerlicher, sondern aus industrieller Produktion und wurden wie irgendein Material industriell verarbeitet und vermarktet. Zur Diskussion stand mit dieser Arbeit nicht nur, was Kunst leisten soll und auf welche Materialien sie dabei zurückgreifen darf. Zur Diskussion stand auch das Verhältnis zur Nahrung, zum Tier, zur Natur in hochindustrialisierten Gesellschaften.

Text: Roman Kurzmeyer, 2007

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Erschienen in: Erik Steinbrecher, Schluss mit Öko, hg. von Roman Kurzmeyer, Berlin: argobooks 2010.