Christine Streuli
* 1975, lebt in Zürich

Das zeitgenössische Kunstwerk ist eine konzeptuelle Leistung und nicht primär Ausdruck einer technischen Fertigkeit. Innerhalb der Geschichte der modernen Malerei setzt diese Entwicklung, die zum Vorrang des Konzeptuellen führt, im 19. Jahrhundert mit der Malerei Manets ein. Die Konzeptkunst der sechziger Jahre schickt sich an, das Materielle, den Objektcharakter des einzelnen Werkes, zu überwinden. Duchamp, dessen Kunstbegriff erst in jenem Jahrzehnt seine Wirkung zu entfalten beginnt, gibt die Richtung vor. Seither ist vieles entstanden, neue Generationen von Künstlern haben Werke zur Diskussion gestellt, die diesen Weg in Frage stellen. Die Malerei ist besonders gefordert, da sie durch ihre lange Geschichte, die auch eine Geschichte des Stofflichen ist, im Unterschied zu neueren Formen der Kunst im Verdacht steht, sie unterlaufe diese Entwicklung. Christine Streulis Malerei ist mir wegen der stilistischen Vielfalt und den experimentellen Eigenschaften aufgefallen. Die gemalten Skizzen erzählen von der Faszination und der Lust des Malens. Auch die grossformatigen Gemälde sind malerisch entwickelt, thematisieren aber deutlicher ihre eigene Historizität und stellen das entsprechende Bewusstsein der Künstlerin dar, nicht nur durch die in ihnen sichtbaren stilistischen und technischen Anleihen aus der Kunstgeschichte, sondern vor allem durch die Darstellung der technischen Bedingung des gemalten Bildes. Streuli malt nicht nur, sondern sie zeigt das Malen auch, beispielsweise indem sie Farbtropfen oder Pinselstriche darstellt. Dieses Erproben von Möglichkeiten des Bildes und der Malerei bildete den Anlass, Streuli nach Amden einzuladen.

Christine Streuli stellte eine Arbeit zur Diskussion, die wie schon diejenige von Katharina Grosse im selben Gebäude vor fünf Jahren, das in den Raum einfallende, schwache Licht thematisiert. Dieses durch Türe, Fenster und Schorgraben in den Stall eintretende Licht bestimmte damals die Form und die räumliche Ausrichtung des rot besprühten Kartonobjekts von Katharina Grosse. Streuli, die eine Arbeit für den über dem Stall liegenden Dachstock, bestehend aus Heuboden und Vorraum, entwickelte, zeigte eine Assemblage. Das Stück war auf der Schwelle zum Heuboden fest und sichtbar installiert und fungierte dadurch auch als Raumteiler. Die Bildseite befand sich gegenüber dem Eingang und war frontal beleuchtet. In die bemalte Holztafel geschnittene Öffnungen ermöglichten dem Auge, das Gegenlicht wahrzunehmen, welches zwischen den rohen Brettern der unregelmässigen Holzverplankung in den grossen fensterlosen Raum hinter der Arbeit einfiel. Dieses Licht aktivierte die Malerei, die wie eine Maske das imitierte, was sie verdeckte: Bretter, Lichtschlitze, Raum. Das aus einer zweiten, mit Lackfarben bemalten Platte ausgeschnittene und auf die Trägerplatte montierte Element, ein bunter Farbfleck, ist das Gesicht des Gemäldes und wirkte - als Hinweis auf die Technik - wie eine Maske der Maske.

Text: Roman Kurzmeyer, 2004

Download Pdf: «Poetische Reflexion», Text von Roman Kurzmeyer
Erschienen in: Christine Streuli. Bumblebbeee, Verlag für moderne Kunst: Nürnberg 2006, o.p.